Möchtest du in deiner Bachelorarbeit oder Masterarbeit ein Experteninterview durchführen? Die qualitative Methode eines solchen Leitfadeninterviews eignet sich besonders gut für eine Abschlussarbeit. Doch in den meisten Fällen ist genau diese Arbeit der erste Berührungspunkt mit der Methodik und du hast keinen blassen Schimmer, wie genau du das Experteninterview durchführen sollst.
Hier bekommst du alle Antworten.
Denn in diesem Artikel zeige ich dir, wie du in 4 Schritten ein Experteninterview vorbereiten (1), durchführen (2), transkribieren (3) und auswerten (4) kannst.
So kannst du dich sorgenfrei an die Interviews wagen und das Projekt aufsehenerregende Abschlussarbeit in Angriff nehmen!
Inhaltsverzeichnis
Experteninterview durchführen – Das musst du vorher wissen
Ein Experteninterview ist eine gern genutzte Methode der qualitativen Forschung. Im Unterschied zur quantitativen Forschung hast du hier eine kleinere Stichprobe (deine Interviewpartner), bekommst jedoch in der Regel tiefergehende Informationen, die sich aus dem Gespräch ergeben.
Ein weiterer Vorteil ist, dass zwar die Fragen teilweise von dir vorgegeben sind, jedoch nicht die Antworten. Das heißt du kannst mit neuen Erkenntnissen rechnen, die aus den Interviews hervorgehen, anstatt von dir zuvor festgelegte Zusammenhänge zu testen (z.B. bei quantitativen Umfragen).
Wieviele Experteninterviews durchführen?
Ein Experteninterview ist kein Experteninterview. Der Sinn und Zweck dieser Methodik ist es, verschiedene Meinungen, Best Practices und Standpunkte einzuholen, diese auszuwerten und ein Gesamtbild daraus zu erstellen. Ein einziges Interview würde der Maxime widersprechen, dass empirische Forschung immer objektiv, reliabel und valide sein sollte.
Von Seite deiner Betreuerin/deines Betreuers wirst du unterschiedliche Empfehlungen bekommen. Außerdem hängt die Anzahl der Interviews davon ab, ob es sich um eine Bachelorarbeit, Masterarbeit oder ein sonstiges Projekt handelt. Für eine 3-monatige Bachelorarbeit sind 5-8 Interviews ein guter Richtwert. Für Masterarbeiten 8-15 Interviews.
Folgt man der guten wissenschaftlichen Praxis, dann ergibt sich die Frage, wieviele Interviews geführt werden, ganz anders:
Es werden solange Experteninterviews durchgeführt, bis keine neuen Erkenntnisse mehr hinzukommen.
Das wäre natürlich das Optimum. Das bedeutet jedoch, dass deine Interviews inkrementell ausgewertet werden müssen, Termine flexibel vereinbart werden können und noch vieles mehr. Die begrenzte Zeit, die dir während einer Abschlussarbeit zur Verfügung steht, erschwert diese Vorgehensweise natürlich. Von daher bist du mit den oben genannten Empfehlungen gut dabei.
Wie lange sollte ein Experteninterview dauern?
Die Dauer der Interviews sollte nicht zu stark voneinander abweichen. Da du beim Experteninterview durchführen immer einem Leitfaden folgst (dazu kommen wir gleich), sollte die Länge immer ungefähr gleich sein. Du wirst Interviewpartner haben, die viel und lange erzählen und andere, die sich eher kurz halten. Ein bisschen Abweichung wird also immer dabei sein.
Wie lange deine Interviews werden, hängt natürlich vom Ausmaß des Leitfadens ab und wieviele Fragen du dort unterbringst. Eine durchaus angemessene Dauer für Experteninterviews liegt zwischen 30 und 45 Minuten. Alles andere sollte eine Ausnahme darstellen.
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Ein Experteninterview vorbereiten #1
Um ein Experteninterview durchführen zu können, müssen zwei Dinge gegeben sein:
- Du musst selbst ein(e) Expert(in) auf dem Gebiet des Forschungsgegenstands sein.
- Du musst die besten Expert(innen) in diesem Gebiet rekrutieren
Um den ersten Punkt zu erfüllen, solltest du so viel wie möglich zu deinem Thema gelesen haben. Experten können Wissenschaftler sein, aber auch (und vor allem) Praktiker. Du möchtest in deinem Interview natürlich möglichst auf Augenhöhe kommunizieren und solltest die wichtigsten Begriffe kennen, damit du mitreden kannst.
Damit du dein Experteninterview optimal vorbereiten kannst, fokussiere dich auf zwei Aufgaben:
1. Rekrutierung von Experten
Die erste Anlaufstelle sind die Mitarbeiter (inklusive Betreuer(in)) an dem Lehrstuhl, der deine Arbeit betreut. Schreibe E-Mails oder frage noch besser persönlich nach Kontakten zu möglichen Experten.
Vitamin B ist immer besser als Kaltaquise.
Weitere Möglichkeiten, um Experten für dein Interview zu gewinnen, sind diese hier:
- Persönlicher Besuch
- Anruf
- Linked-In oder andere Social Media
- Konferenzen/Messen
Wichtig ist, mit dem Suchen (und Finden) von Interviewpartnern möglichst früh zu beginnen. Du kannst nie früh genug damit anfangen.
2. Erstellung des Interview-Leitfadens
Der Leitfaden ist das Herzstück deiner Methode. Du solltest die Fragen wohlüberlegt auswählen und auf Basis deiner Forschungsfrage(n) entwerfen. Die Forschungsfragen müssen unbedingt vorher klar sein. Denn wenn du am Ziel vorbeifragst beziehungsweise deine Interviewfragen keinen Aufschluss über dein Forschungsziel geben, dann hast du ein Problem.
Ein grober Aufbau deines Leitfadens könnte so aussehen:
Vor dem Interview (Anmerkungen für den Interviewer):
- Eigene Person kurz vorstellen (Name, Alter, Arbeitstitel…).
- Dem Interviewpartner für seine Hilfe/Teilnahme an der Befragung danken.
- Kurzen Hinweis auf das Forschungsziel geben: Die Interviews werden geführt, um herauszufinden, inwiefern…
- Information über die anonyme Behandlung der Daten
- Das Einverständnis des Interviewpartners einholen und diesem die Gelegenheit geben, für ihn noch offene Fragen zu stellen.
Interview
- Fragenblock A
- Fragenblock B
- Fragenblock C
Der Leitfaden sollte so verfasst sein, dass ein/e beliebige/r andere/r Forscher/in diesen ebenfalls ohne Probleme nutzen kann.
Ein Experteninterview durchführen#2
Bei der Durchführung sind besonders zwei Faktoren wichtig. Die technische Komponente und die inhaltliche Komponente.
Worauf du inhaltlich achten solltest
Dank des Leitfadens musst du im Gespräch nicht viel improvisieren. Der wichtigste Hinweis ist jedoch der, dass du zunächst immer die übergeordnete Frage im Leitfaden stellst. Geht die Antwort dann in die falsche Richtung, kannst du über jeweilige Unterfragen den Interviewten lenken. So stellst du sicher, dass sich dein Experte auch zu den Dingen äußert, die du untersuchen möchtest.
Technik-Tipp
Bei einem Telefon-Interview empfehle ich dir, einfach Skype zu verwenden. Dort kannst du ohne großen Aufwand das Telefonat bzw. den Video-Anruf aufzeichnen. Der Aufzeichnung muss am Anfang des Interviews zugestimmt werden, sonst ist das datenschutzrechtlich nicht OK. Das Gespräch aufzuzeichnen, ist ein absolutes MUSS. Denn ohne Aufzeichnung kannst du kein Transkript anfertigen.
Ein Experteninterview transkribieren #3
Nach der Aufzeichnung folgt das Transkribieren. Ich will dir hier nicht die Lust nehmen, aber auch nichts beschönigen. Das Transkribieren ist die unschönste Phase dieser Forschungsmethode. Du musst die gesamte Aufzeichnung verschriftlichen. Und zwar Wort für Wort.
„Ähms“ und Räusperer darfst du dabei glätten, nicht jedoch Grammatik oder Wortwahl. Wenn du etwas glättest, dann schreib dies auch in deine Beschreibung der Methode.
Das Transkribieren ist oftmals der Flaschenhals beim Experteninterview durchführen. Zu Beginn scheint es nicht so, aber dieser Teil macht mit Abstand die meiste Arbeit.
Du kannst davon ausgehen, dass die Transkription ca. 5 mal so lange dauert, wie das Gespräch. Für ein 30 Minuten Interview solltest du mindestens 3 Stunden einplanen. Bei 15 Interviews kann das schon ganz schön viel werden. Teile dir deine Zeit also vorher gut ein.
Ein Experteninterview auswerten #4
Hast du alle Interviews durchgeführt und deine Transkripte parat, dann kannst du dich an die Auswertung machen. Die meiner Ansicht nach am besten geeignete Vorgehensweise ist die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2010). Auf meinem Blog findest du dazu ein ausführliches Tutorial.
Für diesen Schritt empfehle ich dir also, dich mit der Technik der Inhaltsanalyse vertraut zu machen. Als Ergebnis geht daraus nach Möglichkeit eine Art Kategorisierung hervor. Also verschiedene Überbegriffe, die in Bezug zu deinem Thema von den Interviewpartnern angesprochen wurden.
Visuelle Darstellung
Für die Darstellung in deiner wissenschaftlichen Arbeit empfiehlt es sich, mit Tabellen zu arbeiten. Im Methodenteil solltest du eine Tabelle anlegen, welche dein Sample beschreibt, beispielsweise so:
Organisation | Gender | Age | Time in organisation | Position | ID | Interview Duration |
Regional unit 1 | male | 59 | 8 years | technical staff | I1 | 32:45 min |
Regional unit 2 | male | 30 | 4 years | managerial staff | I2 | 33:25 min |
head office | female | 58 | 8 years | managerial staff | I3 | 25:46 min |
head office | female | 55 | 4 years | managerial staff | I4 | 34:50 min |
head office | male | 21 | 4 years | technical staff | I5 | 22:57 min |
Table 1. Overview of Interviewees
In deinem Ergebnisteil kannst du auch wieder mit einer Tabelle arbeiten. Wichtig für die Aufbereitung deiner Ergebnisse ist die ID oder das Kürzel, das du für jeden Interviewten verwendest. So kannst du im Fließtext strukturiert deine Ergebnisse wiedergeben und mit Gesprächsbeispielen verdeutlichen. Zum Beispiel so:
„Während I3 die Einführung von Enterprise Social Media als ‚wichtige Management-Entscheidung und unabdingbar für den Erfolg die Kommunikationskultur des Unternehmens‘ bewertet, überwiegen bei Angestellten der regionalen Branchen die Bedenken, dass die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zu sehr verschwimmen würden (I1, I2). I1 äußerte Zweifel, die….“
In der besagten Tabelle kannst du dann nach dem Experteninterview durchführen deine gebildeten Kategorien widerspiegeln und übersichtlich darstellen, welche Positionen von welchen Interviewten vertreten werden.
Während du im Ergebnisteil deine Ergebnisse beschreibst, hast du in einer Diskussion die Möglichkeit, sie zu interpretieren und im Hinblick auf die Forschungsliteratur zu reflektieren. Wenn du mehr darüber lernen möchtest, dann kann ich dir meine Anleitung zum Diskussion schreiben ans Herz legen.
Wenn du jetzt auf deinem Weg zu besseren Noten noch ein wenig Starthilfe für deine wissenschaftliche Arbeit benötigst, dann habe noch ein PDF für dich, das du dir gratis herunterladen kannst:
Die 30 besten Formulierungen für eine aufsehenerregende Einleitung
6 Gedanken zu „Experteninterview durchführen, transkribieren und auswerten (Mit Muster-Leitfaden)“
Hallo Philip,
wie kommst du auf deinen Richtwert für die Anzahl von 8-15 Interviews bei Masterarbeiten? Ich habe das von meiner Betreuerin auch gesagt bekommen, kann dazu aber keine „Quelle“ finden…
Klasse. Ein super Text den du geteilt hast. Es ist schwer zu diesem Thema auf google was zu finden.Und schon was mehr
gelernt!