Wissenschaftliche Methoden

Hermeneutik einfach erklärt (Hermeneutischer Zirkel / Gadamer)

Hermeneutik einfach erklärt

Bist du auf der Suche nach jemandem, der dir den Begriff der Hermeneutik einfach erklärt? Dann schnall dich an, denn es wird philosophisch.

In diesem Artikel bekommst du in weniger als 10 Minuten einen Überblick zu den folgenden 3 Dingen:

  1. Was ist die Theorie bzw. Philosophie hinter dem Begriff Hermeneutik?
  2. Wozu ist der hermeneutische Zirkel zu gebrauchen?
  3. Und wer sind die wichtigsten Denker der Hermeneutik, die du auf jeden Fall mal gehört haben solltest?

Wenn du also auf der Suche nach einem schnellen und schmerzlosen Überblick zu dem Thema bist, dann lies jetzt weiter. Nach dem Artikel wirst du zumindest ein kleines My schlauer sein als zuvor. Quellenangaben und weiterführende Literatur findest du wie immer im Text.

Hermeneutik einfach erklärt

Was ist Hermeneutik?

Hermeneutik ist „die Kunst des methodisch geleiteten Verstehens“ (Kaus, 2022, S.1). Was die Hermeneutik hilft zu verstehen, sind übergeordnete Sinnstrukturen des menschlichen Lebens und Handelns.

Die Hermeneutik setzt sich dabei vor allem mit Texten auseinander, denn diese sind ein möglicher Zugang zu diesen Sinnstrukturen. Das ist insbesondere in den Geisteswissenschaften der Fall. Doch die Bedeutung der Hermeneutik reicht heute weit über die Grenzen einzelner Disziplinen hinaus.

Es geht also um das Interpretieren von Texten oder anderen Symbolen, aber auch um das Interpretieren des Interpretierens selbst. Also um die Frage, wie wir das soziale Leben um uns herum als Forschende besser verstehen können.

Die Hermeneutik kann dabei eine Art Hilfswissenschaft für alle möglichen Disziplinen sein. Wenn eine Theologin die Bibel verstehen möchte, ein Jurist die Gesetzgebung oder eine Pädagogin die Jugendsprache – in all diesen Fällen braucht es eine Anleitung zum Interpretieren.

Bist du noch da? Ich hoffe doch. Gleich wird es etwas handfester. Halte durch.

Philosophische Hermeneutik (Gadamer)

Der Philosoph Hans-Georg Gadamer geht einen Schritt weiter und begreift Hermeneutik eben nicht nur als ein Hilfswerkzeug zur Interpretation, sondern als einen Prozess, der etwas weitaus Grundlegenderes berührt.

Im philosophischen Sinn kann sich die Hermeneutik also auch damit befassen, wie sich Menschen oder sogar ganze Völker gegenseitig verstehen. Für Gadamer’s Lehrer Martin Heidegger war bereits klar, dass die Hermeneutik ein Grundprinzip des menschlichen Daseins darstellt. Also dass wir Menschen ununterbrochen dem Verstehen nachgehen und das Dasein selbst Verstehen bedeutet. Gadamer hat dann besonders die Rolle der Sprache für die Hermeneutik hervorgehoben. Für ihn hängt Verstehen immer mit Sprache zusammen.

Von ihm stammt auch die aus meiner Sicht schönste Metapher um Hermeneutik besser zu verstehen. Und zwar beschreibt er die Hermeneutik als ein nie endendes Gespräch („Das Unendliche Gespräch“).

Bleiben wir bei dem einfachen Beispiel, dass du eine forschende Person auf der Suche nach Sinnstrukturen bist und dein Datenmaterial ein Text ist. Stell dir vor, du bist du und der Text ist dein Gegenüber.

Die Metapher vom unendlichen Gespräch besagt nun, dass du deinem Gegenüber (also dem Text) mit einer offene Einstellung gegenübertrittst.

Du hast ein gewisses Vorwissen, welches du „auf’s Spiel“ setzt. Du bist offen dafür, dass die Annahmen, mit denen du ins Gespräch gegangen bist eventuell durch andere ersetzt werden. Je nach dem, was du durch das Gespräch lernst.

Das Gespräch ist unendlich, weil die Hermeneutik diese Abgleichung von Vorwissen und neuem Wissen immer wieder wiederholt. Dieses wichtige Grundprinzip schauen wir uns gleich noch genauer an.

Ein weiteres bekanntes Bild von Gadamer ist der Horizont. Er steht für die Sinnstruktur und das Wissen, dem wir ausgesetzt sind. Der Horizont wirkt auf uns, wenn wir Neues verstehen wollen und bietet uns eine Orientierung.

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Der Hermeneutische Zirkel

Nachdem wir bei Gadamer die ontologischen Überlegungen zur Hermeneutik kennengelernt haben, schauen wir uns nun an, wie sich das Prinzip auf wissenschaftliche Methoden übertragen lässt.

Falls du mein Tutorial zu qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz schon kennst, dann wird dir das bekannt vorkommen. In seinem Vorgehen beschreibt Kuckartz die Inhaltsanalyse als hermeneutischen Prozess und stellt dazu diese Abbildung bereit:

Ablaufmodell nach Kuckartz qualitative Inhaltsanalyse

Damit möchte er deutlich machen, dass die Analyse nicht sequentiell von Anfang bis Ende abläuft, sondern dass der Prozess dynamisch ist. Du kannst jederzeit von der Analyse zur Forschungsfrage zurückkehren oder von Ergebnisdarstellung zur Kategorienbildung.

Dieses Vorgehen basiert im Grunde auf dem hermeneutischen Zirkel. Dieser sieht vor, dass man sich in Spiralbewegungen zwischen Vorverständnis und Textverständnis hin- und herbewegt. So wie im unendlichen Gespräch von Gadamer. Das Prinzip wird in diesem Zitat von Jürgen Bolten (1985) besonders deutlich:

„Einen Text verstehen heißt demzufolge, Merkmale der Textstruktur bzw. des -inhaltes und der Textproduktion unter Einbeziehung der Text- und Rezeptionsgeschichte sowie der Reflexion des eigenen Interpretationsstandpunktes im Sinne eines wechselseitigen Begründungsverhältnisses zu begreifen. Daß es dabei weder falsche noch richtige, sondern allenfalls mehr oder minder angemessene Interpretationen geben kann, folgt aus der […] Geschichtlichkeit der Verstehenskonstituenten und der damit zusammenhängenden Unabschließbarkeit der hermeneutischen Spirale. […] Der Spiralbewegung entsprechend, unterliegt die Interpretation hinsichtlich ihrer Hypothesenbildung diesbezüglich einem Mechanismus der Selbstkorrektur.“ (S. 362 f.)

Was dabei noch wichtig zu erwähnen ist, ist das Verhältnis zwischen Einzelnem und Ganzem. Die Hermeneutik vertritt den Standpunkt, dass sich das Ganze aus dem Einzelnen heraus verstehen lässt. Wenn ich also eine Textstelle habe, schließe ich daraus, was insgesamt für eine Sinnstruktur hinter dem Gesamtwerk liegt.

Spätestens jetzt müsste dir klar werden, wovon wir hier sprechen: Der Induktion!

Diese kennst du von der induktiven Kategorienbildung bei der Inhaltsanalyse oder dem offenen Kodieren bei der Grounded Theory.

Hermeneutik einfach erklärt

Probleme der Hermeneutik

Das induktive Schlussfolgern aber auch die „Unendlichkeit“ des hermeneutischen Ansatzes können zu Problemen führen.

Das wohl bekannteste Problem in der Historie der Hermeneutik dreht sich um die Interpretation der Bibel. Hier trat ein besonderer Fall auf, nämlich dass die Bibel von verschiedenen Autoren und zu verschiedenen Zeitpunkten und kulturellen Epochen verfasst wurde.

Wenn man nun aber die Bibel als Gesamtwerk versteht und von einzelnen Teilen auf das Ganze schließt, dann wird es tricky. Ich verlinke dir hier einen Artikel zum hermeneutischen Zirkel, der dieses Problem besser beschreibt als ich das kann.

Das zweite Problem der Hermeneutik und des hermeneutischen Zirkels ist deren Unendlichkeit. Wenn das Wissen nie wirklich als abgeschlossen angesehen werden kann, dann herrscht immer eine gewisse Vorläufigkeit.

Wir können nie zu eindeutigen Aussagen kommen, sondern müssen alles unter Vorbehalt betrachten. Das kann unter Umständen unbefriedigend sein.

Weiterführende Literatur

Gadamer, H.-G. (1965). Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen: Mohr.

Kaus, R. J., & Günther, H. (Eds.). (2022). Hermeneutik im Dialog der Methoden: Reflexionen über das transdisziplinäre Verstehen, transcript Verlag.

Podcast: SWR Wissen: Die Philosophie des Verstehens

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