Wissenschaftlich Schreiben

Interviewleitfaden erstellen (Beispiel für semi-strukturierte Interviews)

Interviewleitfaden erstellen semi-strukturiert deduktiv

Du möchtest für eine wissenschaftliche Arbeit einen Interviewleitfaden erstellen, aber du weißt nicht so recht wie? Wie ist der Leitfaden aufgebaut? Wie übersetzt man für einen deduktiven Ansatz eine Theorie in konkrete Fragen? Und was hat es mit dem semi-strukturierten Charakter eines solche Leitfadens auf sich?

Rettung naht.

Denn in diesem Video möchte ich all diese Fragen beantworten und dir ein möglichst vollständiges Tutorial bieten, mit dem du deinen Interviewleitfaden im Handumdrehen erstellen kannst. Damit dieses Video im Gegensatz zu deinem Leitfaden nicht nur semi-strukturiert ist, habe ich den Prozess zum Interviewleitfaden erstellen in 5 Schritte aufgegliedert, denen du leicht folgen kannst. So wird deine Interviewvorbereitung zur Grundlage für eine herausragende wissenschaftliche Arbeit und die Note, die du dir zum Ziel gesetzt hast.

#1 Interviewleitfaden erstellen: Grundgerüst verwenden

Möchtest du einen Interviewleitfaden erstellen, musst du nicht das Rad neu erfinden. Das Grundgerüst eines solchen Leitfadens sieht immer gleich aus. Und zwar so.

Vor dem Interview

Das erste Element eines Interviewleitfadens beinhaltet ein paar Hinweise für dich als Interviewer. Das sind praktisch „Regie-Anweisungen“, an die du dich halten kannst um das Interview einzuleiten.

#1 Eigene Person vorstellen

Dazu gehören dein Name, dein Alter und deine Funktion, in der du das Interview führst.

#2 Dem Interviewee für die Teilnahme danken

Interviewees schaufeln sich wertvolle Zeit aus ihrem Arbeitsalltag oder sogar Privatleben, um dir Rede und Antwort zu stehen. Da solltest du keine Gelegenheit verstreichen lassen, um dich aufrichtig dafür zu bedanken.

#3 Gib einen kurzen Hinweis auf das Forschungsziel

Dabei solltest du natürlich nicht vorwegnehmen, worauf du im Detail aus bist. Verrate hier also nicht deine Forschungsfrage, damit du dein Gegenüber nicht unnötig einen Bias, also eine verzerrte Wahrnehmung unterjubelst. Dennoch ist es nur angebracht, dem Interviewee einen Kontext zu geben, damit er oder sie grob weiß, warum sie überhaupt Teil dieser Studie ist.

Diesen Hinweis auf das Forschungsziel kannst du auch vorformulieren und vorlesen, wenn du dir unsicher bist. Frei vortragen geht natürlich auch, aber nur wenn du dir sehr sicher bist.

#4 Informationen über die anonyme Behandlung der Daten

Hier kannst du folgende Information geben:

Die Audio-Daten dieses Interviews werden aufgezeichnet, verschriftlicht, anonymisiert und aggregiert. Die Ergebnisse werden im Rahmen einer Studie an der Universität XYZ aufbereitet. Von allen anderen Endgräten werden die Aufzeichnungen nach Fertigstellung der Studie gelöscht.

Und das solltest du dann im Rahmen natürlich auch tun!

#5 Einverständnis einholen

„Sind Sie damit einverstanden, dass ich unser Gespräch zu Auswertungszwecken aufzeichne? Ich kann Ihnen hierbei versichern, dass die Anonymität gewahrt bleibt und daher keine Rückschlüsse auf Ihre Person möglich sind.“

#6 Offene Fragen klären

„Haben Sie vor Beginn des Interviews noch offene Fragen. In diesem Fall können Sie diese gerne jetzt stellen.“

#7 Aufnahme starten

Drücke auf Record. 😉

Nach dem Interview

Auch unmittelbar nach dem Interview hast du noch einen kleinen Block.

#1 Aufnahme stoppen

Cut! Du hast es im Kasten.

#2 Deinen Dank für die Teilnahme ausdrücken (ja, nochmal!)

Ja, auch nach dem Interview bedankst du dich noch einmal. Ich hatte mal einen Interviewpartner, der nicht rechtzeitig genug aufgelegt hat und ich noch sein lautes und erleichtertes Stöhnen hören konnte. Eine Stunde oder noch länger ein solches Interview zu führen ist anstrengend und wirklich keine Selbstverständlichkeit!

#3 Aufbereitung der Ergebnisse ankündigen

Erinnere deinen Interviewee noch einmal daran, dass nach Abschluss der Studie die Ergebnisse schön aufbereitet werden, damit für ihn oder seine Organisation auch etwas greifbares herausspringt. So erinnerst du ihn daran, dass er oder sie auch etwas davon hat. Natürlich solltest du das auch durchziehen und auch wenn es nicht Teil der Abgabe ist, ein cooles PDF oder eine Art Briefing erstellen, von dem die TeilnehmerInnen einen Mehrwert haben.

#4 Snowballing

Bist du inmitten deiner Studie und benötigst noch weitere Interviewees? Dann ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt um danach zu fragen, ob die Person noch jemanden kennt,  der oder die sich ebenfalls für das Interview eignen würde. Entweder ist die Person so stolzerfüllt von der guten Tat an der Studie teilgenommen zu haben oder so erschöpft, dass auch Freunde und Kollegen unbedingt diese Erfahrung machen müssen!

So erweiterst du gekonnt deine Stichprobe.

Interviewleitfaden erstellen semi-strukturiert bachelorarbeit

#2 Inhaltliche Blöcke anlegen

Nun kommen wir aber zu den inhaltlichen Blöcken deines Interviewleitfadens. Der erste ist ähnlich wie im Grundgerüst fast immer gleich.

Block 1: Zur Person und zur Organisation

Wenn dein Interviewee nicht in seiner Rolle als Teil einer Organisation bzw. eines Unternehmens auftritt, dann kannst du diese Fragen natürlich weglassen und stattdessen die Expertise in Bezug auf den Forschungsgegenstand mit vergleichbaren Fragen bestimmen.

  1. Wie alt sind Sie?
  2. Was ist Ihre derzeitige Position im Unternehmen?
  3. Wie lange arbeiten Sie schon im Unternehmen?
    • Wie Arbeitserfahrung in ihrer aktuellen Position haben Sie insgesamt (in Jahren)
  1. Was ist das Kerngeschäft Ihres Unternehmens?
  2. Welcher Branche würden Sie ihr Unternehmen zuordnen?

„Unternehmen“ lässt sich hier natürlich 1:1 durch jede beliebige NGO, Vereine oder Forschungseinrichtungen ersetzen.

Block 2-X: Theoretische Dimensionen

Die folgenden Empfehlungen zum Interviewleitfaden erstellen richten sich wie eingangs angekündigt an ein semi-strukturiertes, theoriegeleitetes Interview. Das bedeutet, dass du dein Interview vor dem Hintergrund einer bestimmten Theorie führst. Du möchtest also einen Forschungsgegenstand erforschen, um diesen besser zu verstehen und wendest dazu eine theoretische Perspektive an.

Die Schlüssel sind hier erstens das Vorhandensein eines theoretischen Hintergrunds für deine Studie, wie du diesen etablierst, erfährst du in meinem Tutorial zum Theoretischen Hintergrund einer wissenschaftlichen Arbeit.

Darüber hinaus solltest du dir bereits darüber bewusst sein, dass du für die Auswertung deiner Interviews zumindest teilweise. deduktiv vorgehst, d.h. du bestimmte Dimensionen einer Theorie in Kategorien übersetzt und die Inhalte der Interviews diesem vorgefertigten Schema zuordnest. Alles über diese Art der Auswertung erfährst du ebenfalls in einem anderen Tutorial: Deduktive Kategorienanwendung in der Qualitativen Inhaltsanalyse.

Okay, und wie bestimmst du nun die Theoretischen Dimensionen?

Ganz einfach. Du musst nur in die Literatur schauen. Um das ein wenig zu veranschaulichen, schauen wir uns ein Beispiel an.

Beispiel zum Interviewleitfaden erstellen: Organizational Identity

Angenommen, du möchtest herausfinden, wie sich die Identität einer Firma zusammensetzt, die ausschließlich Remote agiert, d.h. aus dem Home Office oder als Digitale Nomaden.

Um das zu verstehen, wendest du dich der, Achtung – Überraschung, Organizational Identity Theory zu. Diese setzt sich nach Albert & Whetten (1985) und Whetten (2006) aus drei unterschiedlichen Dimensionen zusammen:

  1. Ideational dimension (Wie versteht sich die Organisation im Kollektiv)
  2. Definitional dimension (Attribute der Organisation; Unterschied zu anderen Organisationen)
  3. Phenomenological dimension (Die Aktionen und der Diskurs in Relation zur Identität)

Was das im einzelnen bedeutet, ist für das Beispiel irrelevant. Wichtig ist, dass du nun in der Theorie nachliest und jede Dimension in weitere Bestandteile zerlegst, so wie es in der Literatur beschrieben wird.

Darüber hinaus solltest du recherchieren, ob diese Theorie bereits für vorherige Interviewstudien in ähnlichen Kontexten verwendet wurde. Wenn ja, gehe in die Quellen und schaue dir die Leitfäden an, welche die anderen ForscherInnen verwendet haben. Daran kannst du dich prima orientieren – dann solltest du die entsprechende Quelle aber natürlich auch zitieren.

Interviewleitfaden erstellen semi-strukturiert studie

#3 Theoretische Dimensionen in Fragen übersetzen

Falls du nichts passendes findest bist du beim Interviewleitfaden erstellen auf dich allein gestellt. Nehmen wir mal die erste Dimension der Theorie: Die Aktionen und der Diskurs in Relation zur Identität.  

Anstatt diese Frage direkt zu stellen, musst du nachlesen, wie sich diese Aktionen oder ein Diskurs manifestieren könnte. Zum Beispiel durch:

  • Wie beschreibt sich die Firma selbst in Job-Ausschreibungen?
  • Sind Firmen-Events unterschiedlich gestaltet?
  • Wie verhalten sich Top-Manager bei öffentlichen Auftritten?

Diese Fragen kannst du nun in etwas pragmatischere Interviewfragen umwandeln. Hier wäre es ebenfalls möglich zum Beispiel zwei verschiedene Leitfäden zu erstellen. Einen für GeschäftsführerInnen und einen für andere Mitarbeiter. Zum Beispiel so:

Geschäftsführer: Wie beschreibt sich ihre Firma in Kurzprofilen auf Job-Börsen?

Mitarbeiter: Welches Verständnis hatten Sie von der Organisation vor ihrer Bewerbung?

 

Geschäftsführer: Welchen Eindruck über ihre Organisation möchten Sie bei öffentlichen Auftritten vermitteln?

Mitarbeiter: Welchen Eindruck vermitteln ihrer Ansicht nach Top-Manager bei öffentlichen Auftritten?

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#4 Unterfragen bilden

Der semi-strukturierte Charakter deines Leitfadens erlaubt es, dass du gewisse Unterfragen formulierst, um das Gespräch weiter voranzutreiben. Du solltest deine Interviewpartner nicht unterbrechen und ihnen größtmöglichen Freiraum geben. Wenn sie aber ins Stocken kommen oder die Frage nicht verstehen, kannst du deine Unterfragen zu Rate ziehen.

Wenn sich das Gespräch aber in eine spannende Richtung entwickelt, dann stelle Fragen, die dir in diesem Moment sinnvoll erscheinen. Der Leitfaden ist nur semi-strukturiert, d.h. du. darfst davon abweichen. Nur so ist es manchmal möglich, die wirklich spannenden Dinge zu erfahren.

Für die erste Frage bieten sich folgende Unterfragen an:

Geschäftsführer-Unterfrage: Weicht der Eindruck der Organisation den Sie bei der Gründung hatten von ihrem heutigen Verständnis ab, nun da Sie X Mitarbeiterinnen beschäftigen?

Mitarbeiter-Unterfrage: Weicht der Eindruck der Organisation den Sie damals hatten von ihrem heutigen Verständnis ab, nun da Sie X Jahre dort arbeiten?

Oder für die zweite Frage:

Unterfrage (für beide): Unterscheiden Sie dabei zwischen Social Media, Pressemitteilungen, Podcasts, TV, etc.?

#5 Interviewleitfaden erstellen, testen und anpassen

Das schöne an einem qualitativen Forschungsdesign ist es, dass du zwischen den Phasen der Datenerhebung und Auswertung vor und zurück springen kannst. Ein detailliertes Verständnis dieses Vorgehens bekommst du wenn du in den Standardwerken zur Inhaltsanalyse oder meinem Artikel zur qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz nachschaust.

Im Prinzip kannst du dir aber merken, dass du nach 2-3 Interviews deine Transkripte oder Paraphrasierung der Interviews anfertigen kannst, um dann den Gesprächsfluss und Aufbau des Leitfadens zu reflektieren. Sind Anpassungen nötig, dann kannst du dies jederzeit tun.

So entwickelt sich ein iterativer Prozess, in dem dein Leitfaden mit jedem Interview immer stimmiger wird. Du musst also keine Angst haben, dass ein Interview für die Katz‘ war, wenn beim ersten Mal noch nicht alles perfekt läuft. Bereite deinen LEitfaden so vor, wie in diesem Video erklärt, und gehe raus und teste ihn.

Der Rest kommt ganz von allein.


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