Du möchtest in deiner wissenschaftlichen Arbeit Methoden der Grounded Theory einsetzen und dabei unter anderem offenes Kodieren praktizieren? Aber die Grounded Theory und alles was damit zusammenhängt ist dir nach wie vor ein Rätsel?
Dann wird dir dieser Artikel mit Sicherheit helfen.
In diesem Artikel und weiteren, die noch folgen werden, gehen wir das Vorgehen bei einer Grounded Theory Arbeit Schritt für Schritt durch. In diesem Video geht es ausschließlich um das offene Kodieren und wie du diese Technik schnell und effizient einsetzen kannst.
Inhaltsverzeichnis
Was ist bei der Grounded Theory anders?
Offenes Kodieren ist ein Teil der Datenauswertung beim Grounded Theory Ansatz. Falls du an dieser Stelle noch einmal die Grundlagen zu Grounded Theory wiederholen möchtest, dann schau dir bitte erst das Basis-Tutorial an.
Normalerweise kennst du es ja so, dass du für eine Studie z.B. einen Interview-Leitfaden erstellst, dann ein Dutzend Experteninterviews führst und diese dann mithilfe einer Inhaltsanalyse auswertest.
Beim Grounded Theory Ansatz ist das etwas anders. So können sich z.B. bei der Grounded Theory die Datenerhebung und die Datenauswertung abwechseln. Du führst erst ein paar Interviews, transkribierst sie und ziehst dich dann zurück, um diese vorläufig auszuwerten. Du wendest Techniken wie das offene Kodieren an, wozu wir gleich noch im einzelnen kommen, und bildest deine ersten Kategorien.
Auf Basis dieses Wissens gehst du dann wieder zurück ins Feld und führst deine nächste Runde an Interviews. Nur diesmal bauen deine Fragen auf dem auf, was du durch deine erste Auswertung herausgefunden hast. Du kannst so viel gezielter nachfragen und immer tiefer eintauchen und Hinweise finden, mit denen du deine kleine Mini-Theorie ausschmücken kannst.
Dieser Prozess, den man auch „theoretical sampling“ nennt, ist das entscheidende Merkmal, das Grounded Theory von anderen qualitativen Ansätzen unterscheidet.
Offenes Kodieren beim Grounded Theory Ansatz
Jetzt aber zurück zum offenen Kodieren.
Das offene Kodieren ist laut Strauss und Corbin (1998) die erste von drei Phasen der qualitativen Datenauswertung für die Grounded Theory.
- Offenes Kodieren
- Axiales Kodieren
- Selektives Kodieren
Das offene Kodieren ist der erste Schritt, mit dem du dich deinen Daten näherst, seien es Interview-Transkripte, Social Media Postings, Notizen oder sonstige Gedanken, die du verschriftlicht hast (im Grounded Theory Vokabular auch „Memos“ genannt).
Um es dir so einfach wie möglich zu machen, stelle ich dir jetzt 5 Ziele vor, die du beim offenen Kodieren verfolgen solltest. Wenn ich alle Schritte erklärt habe, schauen wir uns noch ein Beispiel an einem Interview-Auszug an, damit du siehst, wie du das offene Kodieren konkret anwenden kannst.
#1 Identifiziere deine Kategorien
Offenes Kodieren ist praktisch der Inbegriff der induktiven Kategorienbildung, d.h. du gehst völlig offen an die Daten ohne dabei bestehende Theorien zu beachten.
Manche Autoren, die über Grounded Theory geschrieben haben, empfehlen es, zu einem späteren Zeitpunkt deiner Analyse existierende Theorien hinzuzunehmen. Du vergleichst dann die Kategorien und deren Zusammenhänge, die du entwickelt hast, mit dem was es schon gibt.
Für das offene Kodieren kannst du dir aber merken, dass du völlig unvoreingenommen erstmal deine Daten durchgehst und gleiche Inhalte mit der gleichen Kategorie markierst. Also alles was inhaltlich zusammengehört, landet in einer gemeinsamen Kategorie.
Übrigens, „Code“ und „Kategorie“ bedeutet das gleiche. Das „Codieren“ ist der Prozess des „Kategorisierens“.
Aber wie genau bildest du eine Kategorie?
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#2 Abstraktion statt Beschreibung
Statt die Inhalte nur zusammenzufassen und die Worte der Interviewes zu verwenden, abstrahierst du die Inhalte. Sagen wir mal in deinem Interview-Skript steht folgender Satz:
„Ich benutze TikTok üblicherweise, um die neuesten Nachrichten zu bekommen“
Der Code, den du diesem Satz zuweisen kannst wäre nicht „Nachrichten“, sondern so etwas wie „Informationsbeschaffung“.
Eine Kategorie kann laut Strauss & Corbin zusätzlich verschiedene Dimensionen haben. Die Kategorie „Informationsbeschaffung“ könnte zum Beispiel die Dimensionen „Frequenz“ haben. Also wie oft findet die Informationsbeschaffung statt?
Eine andere Dimension könnte „Inhalt“ sein, also welche Art der Information wird sich hier beschafft? Im Beispiel sind es Nachrichten. In einem anderen Fall könnten es aber vielleicht auch „die neuesten Mode-Trends“ sein.
Die Dimensionen einer Kategorie können als Unterkategorien behandelt werden. Diesen Begriff kennst du vielleicht schon aus der qualitativen Inhaltsanalyse. Besonders wenn du mit einer Software wie MAXQDA arbeitest, dann ist es hilfreich Unterkategorien anzulegen.
#3 Immerwährendes Vergleichen („Constant Comparison“)
Dieses Ziel widmet sich den Fragen:
Werden Codes konsistent vergeben?
Wird immer der gleiche Maßstab für die Dimensionen einer Kategorie angelegt?
Dieses Ziel kannst du erreichen, indem du laufend gegencheckst, welche Textschnipsel du vorher mit dem gleichen Code versehen hast und dann abgleichst, ob hier die gleiche Bedeutung in den Daten vorliegt oder ob du noch einmal differenzieren musst.
An dieser Stelle kommen auch die Memos wieder ins Spiel. Hier kannst du alle deine Ideen aufschreiben, die du bekommst während du kodierst. Was ist hier der Gesamtzusammenhang? Was könnte eine allgemeine Erklärung für das sein was du da liest? Die Memos sind sozusagen deine Spielwiese, auf der du die ersten Entwürfe deiner Theorie anfertigst.
#4 Sättigung beim offenen Kodieren erreichen
Du hast bestimmt schon mal davon gehört, dass man mit Interviews aufhören sollte, wenn keine neuen Informationen mehr hinzukommen. Dieser Prinzip ist vor allem durch die Grounded Theory Literatur populär geworden.
Hier geht es jedoch konkret um die „Theoretische Sättigung“ (im Original: theoretical saturation). Das bedeutet, dass du keine neuen Kategorien und auch keine neuen Variationen oder Situationen in deinen neu gewonnen Daten findest. Außerdem findest du ab diesem Punkt keine neuen Beziehungen mehr zwischen den Kategorien.
Mit der Sättigung gibt es jedoch zwei Probleme:
#1 Der exakte Punkt der Sättigung lässt sich objektiv kaum bestimmen
Hier scheiden sich die Geister: Es gibt eine ganze Anzahl an Artikeln die sich damit beschäftigen, wann und wie Sättigung erreicht wird. (z.B. Saunders et al. 2018)
#2 In einer Abschlussarbeit hast du keine Zeit für 30 Interviews
Schreibst du an einer Abschlussarbeit, ist die Zeit begrenzt. Hier kann also niemand von dir erwarten, dass du solange Interviews führst, bis du diesen ominösen Punkt erreichst. Hier ist es aus meiner Sicht in Ordnung, in Absprache mit deiner Betreuerin, dir ein Ziel an Interviews zu setzen und dieses dann zu verfolgen.
Für eine richtig richtig richtige Grounded Theory Studie ist die übliche Anzahl von 12-15 Interviews, die man in einer Masterarbeit schaffen kann zu wenig. Hier ist es wichtig, im Methodenteil genau zu beschreiben, ob Grounded Theory hier als ganzheitlicher Ansatz für die Arbeit verstanden wird oder ob du dich der Grounded Theory als methodischem Werkzeugkasten bedienst und genau weißt, dass du keine im traditionellen Sinn vollständige Grounded Theory Studie verfolgst.
Oder du tust dich mit jemandem zusammen und ihr schreibt zu zweit eine Abschlussarbeit. So könnt ihr eure Gutachter mit 20-30 Interviews und einer vollständigen Grounded Theory Studie begeistern.
Bei einer Doktorarbeit wäre das schon wieder was anderes, hier müsstest du sowohl mit theoretischer Sättigung und theoretischem Sampling argumentieren und den Grounded Theory Ansatz von Anfang bis Ende durchziehen.
Ein Beispiel für offenes Kodieren (Grounded Theory)
Nehmen wir mal dieses Beispiel aus einem fiktiven Interview-Skript:
„Wow, als ich zum ersten Mal die VR-Brille aufhatte, war es als wäre ich in einer anderen Welt gewesen. Ich war total überrascht, wie schnell man eine Verbindung zu anderen in diesem Metaverse aufbaut. Ich war in einem virtuellen Seminar-Raum und sprach hinterher mit der Dozentin. Sie war aus Canada und super freundlich und offen für meine Ideen.“
Was du nun zuerst machen kannst, ist nach Antworten auf die berühmten W-Fragen zu finden. Also Wer? Wo? Was? Wie? Warum?
Wo: Metaverse
Wer: Dozenten und Lernende
Was: Virtuelle Seminare
Wie: Per VR-Brille in einem virtuellen Seminarraum
Nachdem du dies getan hast, wäre die interessanteste Aussage wahrscheinlich die über die schnelle Kontaktaufnahme. Das hat die interviewte Person bereits selbst signalisiert, indem sie gesagt hat, sie sei „überrascht“ gewesen. Du könntest diesen Part also mit „Kontaktaufnahme“ codieren.
„Wow, als ich zum ersten Mal die VR-Brille aufhatte, war es als wäre ich in einer anderen Welt gewesen. Ich war total überrascht, wie schnell man eine Verbindung zu anderen in diesem Metaverse aufbaut. Ich war in einem virtuellen Seminar-Raum und sprach hinterher mit der Dozentin. Sie war aus Canada und super freundlich und offen für meine Ideen.“
Im weiteren Verlauf des Interviews oder in den nächste Gesprächen würdest du dich dann auf die Suche nach Daten machen, die beantworten „Wie“ die Kontaktaufnahme funktioniert und „Warum“ sie so einfach ist. Weil die Leute in einem Avatar stecken und so die Hemmschwelle sinkt jemanden anzusprechen?
Vielleicht.
Vielleicht aber auch nicht.
Das kann uns nur die Grounded Theory verraten.
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2 Gedanken zu „Offenes Kodieren beim Grounded Theory Ansatz (+Beispiel)“