Wissenschaftliche MethodenWissenschaftstheorie - einfach erklärt

Grounded Theory nach Glaser & Strauss (1967)

Kodieren in der qualitativen Forschung

Du möchtest die Grounded Theory nach Glaser und Strauss (1967) in deiner wissenschaftlichen Arbeit anwenden? Sehr cool! Das wird eine Herausforderung, aber auch eine sehr bereichernde Erfahrung für dich werden.

Grounded Theory ist nämlich nichts für schwache Nerven, aber gleichzeitig die mächtigste und interessanteste aller qualitativen Forschungsmethoden.

Heute widmen wir uns dem Ursprung der Grounded Theory. Dem Ansatz nach Glaser und Strauss aus 1967, was davon heute noch übriggeblieben ist und was es mit dem großen Streit der beiden auf sich hat. Nach dem Video kannst du nicht nur mitreden, wenn es um Grounded Theory geht, sondern weißt auch ob du deine qualitative Studie nach den Empfehlungen von Glaser & Strauss (1967), nur Glaser (1978) oder doch lieber Strauss und Corbin (1998) durchführen solltest.

Grounded Theory nach Glaser und Strauss (1967)

Angefangen hat alles mit einem Buch, das in die Geschichte der Wissenschaft eingegangen ist. Dieses Buch heißt „The Discovery of Grounded Theory“ und erschien 1967. Bei den Autoren Barney Glaser und Anselm Strauss handelte es sich um zwei US-amerikanische Soziologen, die sich mit ihrem Buch einem Forschungsproblem widmeten.

Das Problem bestand darin, dass die empirische Sozialwissenschaft vom quantitativen Paradigma dominiert wurde. Forscherinnen und Forscher wurden nur darauf trainiert, die zu diesem Zeitpunkt großen soziologischen Theorien zu testen. Das war ein Problem, denn warum sollte man davon ausgehen, dass diese Theorien alles erklären können? Wäre es nicht angebracht auch neue Theorie zu entwickeln?

Glaser und Strauss schlagen in ihrem Buch vor, sich auf qualitative Daten zurückzubesinnen und systematisch neue soziologische Theorien vom Verhalten von Individuen abzuleiten. Das Buch ist jetzt über 50 Jahre alt und wurde in einem anderen zeitlichen Kontext geschrieben. Wenn du also zum ersten Mal mit der Grounded Theory in Berührung kommst, dann empfehle ich dir mit einem Buch anzufangen, welches die Ideen der beiden in den heutigen Kontext überträgt.

Grounded Theory nach Glaser & Strauss

Was sind die grundlegenden Ideen aus Glaser und Strauss (1967)?

  • Das Ziel der Grounded Theory ist, das Bilden neuer Theorie
  • Forscher sollten keine theoretischen Vorannahmen treffen, wenn sie mit ihrer Forschung beginnen.
  • Analyse und Konzeptualisierung erfolgen durch den Prozess „constant comparision“, also des ständigen Vergleichs, bei dem jeder Datenausschnitt mit allen bestehenden Konzepten und Konstrukten verglichen wird, um zu sehen, ob er eine bestehende Kategorie bereichert (indem er ihre Eigenschaften ergänzt/verbessert), eine neue Kategorie bildet oder auf eine neue Beziehung hinweist
  • Neue Daten werden durch den Prozess des theoretischen Samplings ausgewählt, bei dem die Forscher:innen aus analytischen Gründen entscheiden, wie und wo die nächste Stichprobe gezogen wird. (Urquhart, 2013)

Erstaunlicherweise ist das Grundprinzip der Grounded Theory heute noch immer so, wie die beiden es sich 1967 überlegt haben.

Neben einer Theorie kann aus einem Grounded Theory Projekt auch ein theoretisches Modell oder eine sogenannte „Rich Description“ entstehen. Alle drei Ergebnisse sind in der wissenschaftlichen Literatur akzeptiert und haben ihren eigenen Mehrwert.

Theorie

Eine Theorie setzt sich zusammen aus Beschreibungen, Definitionen von Variablen, deren Beziehungen, Begründungen für diese Beziehungen und die Grenzen der Theorie.

Modell

Ein Modell besteht aus Definitionen von abstrakten Variablen und deren Beziehungen.

Rich Description

Das ist die Beschreibung von empirischen Beobachtungen ohne Abstraktion.

Eine Theorie zu entwickeln hat also den höchsten Schwierigkeitsgrad, dann kommt das Modell und dann die Rich Description. (Wiesche et al. 2017)

Seit Glaser und Strauss die Grounded Theory zum ersten Mal beschrieben haben, ist viel passiert. Es gibt heutzutage einige Abwandlungen und verschiedene Meinungen, wie Grounded Theory am besten durchgeführt werden sollte. Die Entwicklung dieser unterschiedlichen Strömungen hat vor allem mit zwei Personen zu tun: Glaser und Strauss selbst!

Du möchtest professionelles Training für deine Abschlussarbeit?

Dann nimm jetzt Teil an meinem neuen online CRASH-KURS! (100% kostenlos)

(und erfahre die 8 Geheimnisse einer 1,0 Abschlussarbeit)

Hier mehr erfahren!

Der große Streit zwischen Glaser und Strauss

Es klingt ein wenig wie eine Seifenoper, aber die beiden Autoren entwickelten sich in der Folge ziemlich stark auseinander. Das hatte vor allem damit zu tun, dass die beiden unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie der Grounded Theory Ansatz durchzuführen sei.

Glaser publizierte 1978 alleine ein weiteres Buch, in dem er neue Ideen einbrachte, wie das induktive Entwickeln von Kategorien erleichtert werden kann. Seine Interpretation von Grounded Theory war, dass der Entstehungsprozess der Codes möglichst frei und ohne vorgegebene Struktur vonstatten gehen sollte.

Im Jahr 1990 veröffentlichte sein alter Freund Strauss dann ein Buch mit Juliet Corbin. Weil ihre Studierenden nicht mit dem offenen Ansatz aus dem Buch von 1967 zurechtkamen, entwickelten die beiden ziemlich klare Regeln, wie das Kodieren stattfinden sollte. Und zwar nach dem offenen, axialen, selektiven und prozessualen Kodierens.

Glaser platzte der Kragen und ein Streit, um die Identität der Grounded Theory, entfachte. Der Grund dafür war, dass der Ansatz nach Strauss und Corbin zwar einfacher umzusetzen war, aber die ursprüngliche Idee des freien, unbeschränkten Kodierens missachtete. Glaser empfahl übrigens nur drei Schritte: offenes, selektives und theoretisches Kodieren.

Für Glaser war es wichtig, dass von den Daten aus abstrahiert wird und Konzepte gebildet werden, die unabhängig vom Kontext bestehen können. Strauss hingegen betonte die Notwendigkeit, dass Kontext und Situationsfaktoren bei der Analyse zu berücksichtigen seien. Zudem könne die Theoriebildung auch weniger induktiv, durch bereits vorhandene Theorien und Literatur, geleitet werden. Das war natürlich ein No-Go für Glaser!

Im Jahr 1998 veröffentlichten Strauss und Corbin ein neues Buch, indem sie der alten Idee der Grounded Theory wieder ein bisschen näher kamen. Das half jedoch auch nicht, den Disput ad acta zu legen. Seitdem wird in der Literatur zwischen dem Glasarian und dem Straussian Ansatz unterschieden.

Grounded Theory nach Glaser & Strauss

Welcher Ansatz ist denn nun der richtige für dich?

Wenn du mich jetzt fragst, welchen Ansatz ich empfehlen würde, dann muss ich leider sagen: Keinen von beiden. Glaser und Strauss sind die Urväter der Grounded Theory und jegliche Weiterentwicklung der Methode basiert auf ihren Ideen.

Aber es gibt heute deutlich bessere Werke, um die Grounded Theory von der Pike auf zu lernen oder überhaupt erstmal zu verstehen.

Ich würde mit Sekundärliteratur anfangen. Das beste Methodenbuch zu Grounded Theory, das ich kenne, ist „Grounded Theory for Qualitative Research: A Practical Guide“ von Cathy Urquhart. Das Buch ist perfekt für den Einstieg. Danach kannst du mal aus Spaß einen Blick in die alten Bücher von Glaser und Strauss werfen.

Das Buch von Urquhart eignet sich aber nicht unbedingt für eine Zitation in deinem Methodenteil. Der Grund dafür ist, dass es ein Methodenbuch ist, das die verschiedenen Ansätze erklärt und praktische Hilfestellungen gibt. Ein eigener methodischer Ansatz ist das aber nicht.

Wenn ich Grounded Theory verwendet habe, dann meist mit der Gioia Methode. Dieser Ansatz wird von Dennis Gioia und seinen Co-Autoren in nur einem einzigen Artikel aus 2013 punktgenau erklärt. Um das Paper und die Gioia Methode zu verstehen, ist allerdings Vorwissen nötig. Du musst die Grundideen der Grounded Theory wie constant comparison oder das theoretische Sampling kennen, um nach Gioia handeln zu können. Auf meinem Kanal findest du auch ein eigenes Tutorial zur Gioia Methode.

Eine Alternative zu Gioia ist das Buch Constructing Grounded Theory: A practical guide through qualitative analysis von Kathy Charmaz aus dem Jahr 2006.

Die Referenzen findest du natürlich alle unter diesem Video in der Beschreibung.

Wenn du auf dem Weg zu mehr Erfolg im Studium noch ein wenig Starthilfe für deine wissenschaftliche Arbeit benötigst, dann habe noch ein PDF für dich, das du dir gratis herunterladen kannst:

Die 30 besten Formulierungen für eine aufsehenerregende Einleitung


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert