Wissenschaftliche Methoden

Theoretisches Literature Review nach Webster & Watson, 2002 (Tutorial)

Stehst du vor der Herausforderung, ein eigenständiges Theoretisches Literature Review zu schreiben, vielleicht sogar als Abschlussarbeit, und du weißt nicht, wo du anfangen sollst? Keine Sorge – mit den Empfehlungen von Webster und Watson (2002) bringst du Struktur in das Chaos und überzeugst auch den kritischsten Prof!

In diesem Artikel zeige ich dir, wie du in 7 Schritten ein Literature Review nach den Empfehlungen von Webster & Watson schreibst.

Nach diesem Tutorial brauchst du keine Angst mehr vor diesem Unterfangen haben. Es ist einfacher, als du denkst!

https://youtu.be/S_58Lj9Kwqs

Literature Review schreiben nach Webster und Watson (2002)

Webster & Watson (2002) haben es in ihren Guidelines zum ersten Mal geschafft, einen strukturierten Prozess, zum Schreiben eines sogenannten „Theoretischen“ Litertature Reviews, bereitzustellen.

Dazu muss man wissen, dass systematische Reviews in der Medizin entstanden sind, wo sie die Aufgabe erfüllen, empirische Forschungsergebnisse zusammenzufassen.

In anderen Disziplinen, beispielsweise in den meisten Sozialwissenschaften ist die Literaturgrundlage aber viel diverser. Es gibt qualitative Studien, quantitative Studien, Studien mit mixed methods Designs und auch rein konzeptionelle Paper!

Die ursprüngliche Methodik eines Systematischen Literatur Reviews oder Meta-Analysen, wie sie in der Medizin gemacht werden, funktioniert hier also gar nicht. Denn dafür bräuchte man eine super einheitliche Forschungslandschaft, in der in so gut wie jeder Studie die gleichen statistischen Tests berichtet werden.

Darum gibt es in den Sozialwissenschaften das, was man heute „Theoretisches Literature Review“ nennt. Manche Studien verwenden immer noch den Begriff „Systematisches Literature Review“, obwohl sie gar nicht, wie ursprünglich gedacht, rein quantitative Ergebnisse zusammenfassen.

Ein Theoretisches Literature Review kann alle Art von Literatur zusammenfassen und hat zum Ziel, einen eigenen theoretischen Beitrag zu leisten, der über sie Summe aller Einzelstudien hinausgeht.

Deswegen trägt der Webster & Watson’s (2002) Artikel auch die Überschrift „Analyzing the Past to Prepare for the Future“.

Und so stellen sich die beiden ein Theoretisches Literature Review vor.

Theoretisches Literature Review nach Webster & Watson, 2002

1. Dein Literatur Review muss Konzept-zentrisch sein

Zu Beginn deines Reviews musst du wie sonst auch eine Forschungslücke motivieren oder ein Problem in der Literatur aufzeigen. Hier geht es vor allem darum, ein theoretisches Problem zu erkennen.

Sagen wir mal dein Thema dreht sich um die digitale Transformation am Arbeitsplatz. Das ist das Phänomen – aber das hat nichts mit Theorie zu tun. Ein theoretisches Konzept in diesem Zusammenhang könnte „Identität“ sein. Das Problem darf also nicht praktisch motiviert sein, also sagen wir mal, dass Firmen Probleme haben, dass neue digitale Technologien wie Zoom am Arbeitsplatz akzeptiert werden, sondern theoretisch. Also beispielsweise, dass was Identitätstheorie A sagt und das, was wir in der Realität beobachten, deutet eher auf B hin. In unserem Beispiel könnte es sein, dass die bisherige Literatur sich auf entweder die Identität der Organisation (Wer sind wir als Firma?) oder die Identität der Individuen (Wer bin ich als Arbeitnehmer?) fokussiert. In der digitalen Transformation sind aber beide eng verschachtelt. Deshalb brauchen wir theoretische Erklärungen dafür, wie sie verschachtelt sind und wie das mit Technologie zusammenhängt. Das wäre ein theoretisches Problem.

Anschließend, in deinen Hintergrundkapiteln, solltest du die zentralen Konzepte genau definieren und den Fokus deiner Literaturanalyse klar abstecken. In unserem Beispiel bräuchten wir ein Kapitel zu digitaler Transformation am Arbeitsplatz und ein Kapitel zur Identity Theory.

Webster & Watson erklären außerdem den Unterschied zwischen konzept-zentrisch und autor-zentrischer Literaturanalyse. Dieser Tipp trifft auch auf jegliche anderen wissenschaftlichen Arbeiten zu, also merk dir diesen unbedingt.

Eine konzept-zentrische Schreibweise beginnt so:

Concept X (z.B. Identität) …. (Autor, A; Autor, B)

Eine autor-zentrische Schreibweise beginnt so:

Autor A sagt über Concept X (z.B. Identität) ….

Ein Theoretisches Literature Review ist immer konzept-zentrisch und zwar nicht nur in der Schreibweise, sondern auch als Ganzes. Du brauchst ein zentrales theoretisches Konzept – ohne geht es auch, aber dann schreibst du kein Theoretisches Literature Review nach Webster & Watson (2002).

Theoretisches Literature Review nach Webster & Watson, 2002

2. Die richtige Literatur finden

Um eine Literaturanalyse durchführen zu können, musst du natürlich erstmal relevante Studien und Paper zu deinem Thema finden. Webster und Watson empfehlen, die wichtigsten Journals in deiner Forschungsdisziplin zu durchforsten. Du kannst aber auch mehrere verwandte Disziplinen durchforsten, wenn dein Thema in all diesen abgedeckt wird. Identität und digitale Transformation am Arbeitsplatz könnte beispielsweise sowohl im Management, Human Resources, Wirtschaftsinformatik, Informatik, und Psychologie vorkommen.

Hier solltest du allerdings sehr klar abgrenzen, worum sich dein Review dreht und worum nicht. Du solltest nicht zu breit werden. Das ist erstens viel zu viel Arbeit und zweitens schwächt es deine Möglichkeiten, einen kleinen, aber feinen theoretischen Beitrag zu leisten.

Das ist der Teil, den Webster & Watson vom traditionell systematischen Literature Review adaptieren. Die Literatursuche ist strukturiert. Das heißt, du sollst mit klaren Suchbegriffen arbeiten und Datenbanken systematisch damit durchforsten. Außerdem empfehlen sie noch eine weitere systematische Suchtechnik.

3. Rückwärts- und Vorwärtssuche

Hierbei startest du mit den Studien, die du bereits im ersten Schritt, also deiner Datenbanksuche, gefunden hast.

  • Rückwärtssuche: Schau dir die Literaturverzeichnisse der Studien an, die du bereits gefunden hast. So findest du ältere Arbeiten, die für dich relevant sein könnten. Gleichzeitig siehst du, wie sich das Forschungsfeld im Laufe der Zeit entwickelt hat.
  • Vorwärtssuche: Verwende Zitationsdatenbanken wie Google Scholar, um herauszufinden, welche neueren Studien deine Quellen zitieren. So siehst du auch den neuesten Stand der Forschung.

Beispiel: Du findest eine Studie von Autorin X (2022) zu Remote Work und Identität. Durch die Rückwärtssuche entdeckst du die Arbeiten von Autor Y (2016) und Autorin Z (2020), die sich mit ähnlichen Aspekten beschäftigen. In der Vorwärtssuche stößt du auf Autor A (2023), der wichtige Erkenntnisse zu deinem Thema liefert.

4. Konzept-Matrix erstellen

Webster und Watson raten davon ab, die Studien einfach nach Autoren oder Veröffentlichungsdatum zu ordnen. Stattdessen solltest du die Literatur nach Konzepten gliedern. So erkennst du Muster und kannst die Studien besser vergleichen. Das nennen sie Konzept-Matrix, was einfach nur eine Tabelle ist, in der du ankreuzt, welche theoretischen Konzepte in jeder ausgewählten Studie behandelt wurden. Für unser Beispiel könnte es sein, dass es Paper gibt, die organisationale oder individuelle Identität oder beides behandeln.

Beispiel für eine Konzept-Matrix:

Studieindividuelle Identiätorganisationale Identitätinter-organisationale Identität
Autor A (2015)X
Autor B (2017)X
Autor C (2020)XX

Mit so einer Matrix kannst du die Konzepte aus den verschiedenen Studien systematisch vergleichen und so leichter erkennen, welche Forschungsansätze gut abgedeckt sind und wo noch Fragen offen sind. Diese visuelle Darstellung hilft dir, den Überblick zu behalten und deine Literaturübersicht klarer zu strukturieren. Du kannst sie in deiner finalen Arbeit als Abbildung einfügen.

Theoretisches Literature Review nach Webster & Watson, 2002

5. Theorieentwicklung

Ein zentraler Aspekt der Methode von Webster und Watson ist die Theorieentwicklung.

Eine Theoretisches Literature Review sollte nicht nur bestehende Studien zusammenfassen, sondern auch neue theoretische Ansätze entwickeln. Zum Beispiel in Form eines theoretischen Frameworks oder Modells, das du selbst im Anschluss an deine Analyse vorschlägst.

Hier gibt es diverse Möglichkeiten das zu tun und keine davon ist leicht. Aber wenn du einmal verstanden hast, was hier gefragt ist, kannst du mit deinem Review einen echten Beitrag leisten.

Variante 1: Theoretisches Modell/Framework komplett induktiv entwickeln.

Bei dieser Variante analysierst du deine ausgewählte Literatur, ohne dass du eine bestehende Theorie zur Hilfe nimmst. In unserem Beispiel könnte das bedeuten, dass du ein Modell für Indentitätsbedrohung („Identity Threat“) durch Technologien am Arbeitsplatz entwickelst. Zum Beispiel auf einem individuellen Level, also Arbeitnehmern.

Variante 2: Bestehendes theoretisches Modell/Framework erweitern.

Bei dieser Variante suchst du dir ein bestehendes Framework oder ein Modell, zum Beispiel aus einem anderen theoretischen Zusammenhang und erweiterst es. Es könnte ja sein, dass es schon ein Modell gibt, was Idenititätsbedrohung unabhängig von Technologie erklärt. Zum Beispiel in der Psychologie. Durch deine Literaturanalyse erweiterst du dieses nun um eine technologische Dimension.

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6. Präpositionen aufstellen

Für Webster und Watson ist es wichtig, dass andere Forschende auf deinem Review aufbauen können und sofort an deinen Ideen ansetzen können.

Das kannst du forcieren, indem du Präpositionen aufstellst. Diese lassen sich in Zukunft als Hypothesen quantitativ testen oder auch qualitativ genauer untersuchen.

Beispiel: Digitale Transformation und Identität

Angenommen in deiner Analyse ergeben sich unterschiedliche Erkenntnisse zur Identitätsbedrohung.

  • Autor A (2015): Strategische Investitionen in Künstliche Intelligenz bedrohen die Identiät von Customer Service Mitarbeitern.
  • Autor B (2017): ChatGPT bestärkt die Identität von Personen im Management.
  • Autor C (2020): Mehr Zoom-Nutzung schwächt die organisationale Identität.

Diese Widersprüche deuten auf bestimmte theoretische Zusammenhänge hin, die du nun in Form von Präpositionen verallgemeinern kannst. Natürlich hast du in der Regel viel mehr Studien als nur drei.

Mögliche Präpositionen:

  • Präposition 1: Strategische Investitionen in Künstliche Intelligenz untergraben die berufliche Identität von Mitarbeitenden in Rollen, die traditionell auf persönliche Interaktionen angewiesen sind.
  • Präposition 2: Der Einsatz von KI-Technologien stärkt die berufliche Identität von Führungskräften, indem er ihre Entscheidungsfindung und Führungsrolle unterstützt.
  • Präposition 3: Zunehmende Remote-Arbeit verringert das Zugehörigkeitsgefühl und die Identifikation von Mitarbeitenden mit der Organisation.

In deinem Review hast du dich am besten thematisch noch etwas enger gefasst als hier in diesem Beispiel. Zum Beispiel mit einem Fokus nur auf Individuen oder nur die Organisation.

7. Evaluation deines Modells/Framework und deiner Präpositionen

Um deine theoretischen Ideen zu stützen, kannst du nach Webster und Watson drei zentrale Quellen heranziehen:

  1. Theoretische Erklärungen
    Du stützt deine theoretischen Ideen auf bestehende wissenschaftliche Modelle und Konzepte. Diese Theorien helfen, das „Warum“ hinter deinen Thesen zu erklären, indem sie bekannte Zusammenhänge und Mechanismen aufzeigen. Diese Erklärungen bieten eine logische Grundlage, die deinen Thesen Glaubwürdigkeit verleiht.
  2. Empirische Befunde
    Du kannst auf Ergebnisse aus verwandten Studien oder ähnlichen Forschungsthemen zurückgreifen, um deine Präpositionen zu stützen. Diese empirischen Befunde zeigen, dass ähnliche Zusammenhänge bereits erfolgreich getestet wurden, auch wenn sie möglicherweise nicht exakt auf dein Thema zutreffen.
  3. Praktische Erfahrungen
    Praktische Einblicke oder Fallstudien aus der realen Welt können ebenfalls helfen, deine Präpositionen zu stützen. Diese Erfahrungsberichte zeigen, wie die Konzepte oder Strukturen in der Praxis funktionieren und ergänzen die theoretischen und empirischen Grundlagen.

Schließe dann deine Diskussion ab, indem du die Implikationen für Forschende und gegebenenfalls die Praxis ausmalst.

Jetzt noch ein Fazit schreiben und dann war’s das mit deinem eigenen Theoretischen Literature Review! Wenn du Fragen hast, schreibe mir einen Kommentar!

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