Das Induktionsproblem nach David Hume beschäftigt sich mit einer der wichtigsten Fragen der Erkenntnistheorie. Das bedeutet, es geht um die Frage, was die Wissenschaft eigentlich wissen kann.
Falls du dich schon mal mit empirischen Forschungsmethoden auseinandergesetzt hast, bist du wohl früher oder später über die Begriffe der Induktion und Deduktion gestoßen.
Während ein Grounded Theory Ansatz einer induktiven Logik folgt, basiert ein Experiment auf deduktiver Logik. Ist eins besser als das andere? Wie hängt beides zusammen und warum sind Ergebnisse in der Wissenschaft nie eindeutig?
Die Antwort auf all diese Fragen hängen mit dem Induktionsproblem nach Hume zusammen. In diesem Video lernst du alles was du wissen musst, um mit einem Philosophiestudenten aus dem 9. Semester mitdiskutieren zu können.
Außerdem kannst du mit diesem Wissen, wissenschaftliche Methoden besser einordnen und kritisieren. Es lohnt sich in jedem Fall dranzubleiben.
Inhaltsverzeichnis
Was ist induktives Schlussfolgern?
Bei einem induktiven Schluss wird, in der Wissenschaft, aus der Beobachtung eines speziellen Phänomens, eine allgemeine Theorie abgeleitet.
Ein Beispiel dafür wäre eine Interviewstudie, in der 30 Interviews geführt werden. Die dabei entstandenen Daten werden per Grounded Theory ausgewertet und führen zu einer neuen Theorie.
Aber Induktion gibt es nicht nur in der qualitativen Forschung. Jede Art der Forschung, bei der von einer Beobachtung auf eine Theorie oder ein Naturgesetz geschlossen wird, verwendet Induktion.
Das kann eine statistische Auswertung sein, bei der von einer Stichprobe auf die Grundgesamtheit sein. Es kann aber auch die wiederholte Messung einer Physikerin sein, die daraus ein Naturgesetz ableitet.
Was ist das Induktionsproblem nach David Hume?
Das Induktionsproblem nach David Hume ist eine grundlegende Frage der Erkenntnistheorie, die sich damit beschäftigt, ob und unter welchen Umständen induktive Schlussfolgerungen zuverlässig oder rational sein können.
Der schottische Philosoph warf diese Frage erstmals im 18. Jahrhundert in seinem Werk „A Treatise of Human Nature“ auf. Obwohl Hume das Problem damals nur im Kontext der empirischen Wissenschaft diskutierte, betrifft es bis heute alle Wissenschaften, die die Induktion als gültiges Beweisverfahren anerkennen.
Und das sind viele.
Über das Induktionsproblem ein klein wenig Bescheid zu wissen, kann also nicht schaden. Das Induktionsproblem heißt noch immer so, weil es bis heute keine Lösung dafür gibt. Seit über 2 Jahrhunderten beißen sich Wissenschaftsphilosophen daran die Zähne aus. Darunter auch der berühmte Karl Popper. Doch dazu kommen wir später.
Ein Beispiel für einen Induktionsschluss
Um das Induktionsproblem besser zu verstehen, schauen wir uns am besten Mal ein Beispiel für einen Induktionsschluss an.
Ein Ornithologe führt eine Beobachtung in der Natur durch. Er beobachtet während seiner Forschungsexpedition 100 Schwäne, die alle weiß sind. Das sind 100%.
Annahme 1: 100% der beobachteten Schwäne sind weiß.
Er schließt daraus, dass alle Schwäne weiß sind.
Schlussfolgerung 1: Alle Schwäne sind weiß.
Wenn er so schlussfolgert, dann ist es völlig egal, wie viele Schwäne er noch beobachtet. Er kann sogar 100.000 Schwäne beobachten. Die Schlussfolgerung bleibt, was Logiker als nicht-zwingend beschreiben. Der 100.001ste Schwan könnte schwarz sein und seine Schlussfolgerung wäre falsch.
Die Gleichförmigkeit der Natur
Damit diese Schlussfolgerung logisch rational wird und alle Logiker-Kollegen des Ornithologen ruhig schlafen können, muss er eine zusätzliche Bedingung hinzufügen.
Annahme 1: 100% der beobachteten Schwäne sind weiß.
Annahme 2: Alle Schwäne sind den bisher beobachteten Schwänen ähnlich.
Schlussfolgerung 1: Alle Schwäne sind weiß.
Die zweite Annahme nennt man auch das Prinzip der Gleichförmigkeit der Natur. Das bedeutet, alle zukünftigen Beobachtungen sind ähnlich den vergangenen Beobachtungen.
Oder noch einfacher ausgedrückt: In Zukunft wird immer alles so eintreten, wie es in der Vergangenheit auch war.
Soweit so gut.
Wenn das Prinzip der Gleichförmigkeit der Natur wahr ist, dann gibt es kein Induktionsproblem mehr. Die induktive Schlussfolgerung wäre logisch valide.
Doch jetzt kommt David Hume ins Spiel.
Er behauptet: Für das Gesetz der Gleichförmigkeit der Natur, gibt es keine logische Begründung. Es kann nicht wahr sein.
Hume selbst und alle die nach ihm kamen, haben versucht das Prinzip logisch zu begründen, doch sind gescheitert. Das liegt unter anderem daran, dass für diesen Begründungsversuchen selbst wieder induktive Schlüsse nötig sind, die natürlich auch dem Induktionsproblem unterliegen.
Hume schreibt dazu:
„Es ist […] unmöglich, dass irgendein Erfahrungsbeweis die Ähnlichkeit der Vergangenheit mit der Zukunft beweisen könnte. Mag der Gang der Dinge bislang auch noch so regelmäßig gewesen sein, so kann das allein nicht beweisen, dass es auch in Zukunft so bleiben werde.“
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Ist Deduktion die Lösung für das Induktionsproblem?
Zweihundert Jahre nach Hume betritt ein weiterer Big Player der Erkenntnistheorie das Spielfeld: Karl Popper.
Und er glaubt die Lösung für das Induktionsproblem gefunden zu haben.
Das heißt, eigentlich kann er es nicht lösen, sondern schlägt stattdessen vor, es einfach zu ignorieren. Er war komplett einer Meinung mit David Hume, dass sich durch Induktion keine allgemeinen Gesetze ableiten lassen.
Was man jedoch logisch tun kann, ist es allgemeine Gesetze zu widerlegen.
Statt eine Theorie also basierend auf einem Induktionsschluss zu generieren, könnte man sich doch einfach eine Theorie ausdenken (eine Hypothese bilden), und diese dann versuchen zu widerlegen.
Übrig bleiben dann nur die Theorien, die (bisher) nicht widerlegt werden konnten.
Hier befinden wir uns dann nicht mehr im Bereich der Induktion, sondern der deduktiven Schlussfolgerung (vom Allgemeinen zum Speziellen).
Für die Wissenschaftstheorie war Poppers neuer Ansatz ein Meilenstein. In Bezug auf das Induktionsproblem jedoch nicht die erhoffte Lösung.
Warum wir der Induktion doch manchmal vertrauen sollten
Jede Menge Philosophen wiesen Popper später nach, dass auch sein Ansatz der Falsifikation teilweise auf induktive Schlüsse angewiesen ist.
Während Popper selbst zu Beginn seiner Karriere jegliche Art der Induktion als irrational ablehnte, lenkte er gegen Ende seines Schaffens ein wenig ein.
Er erkannte an, dass es unter bestimmten Umständen eine pragmatische Rechtfertigung für die Induktion gäbe. Schauen wir uns zum Beispiel den Anwendungskontext der Medizin an.
Wenn wir die Induktion komplett ablehnen würden, hätten sowohl Ärzte als auch Patienten ein gewaltiges Problem.
Nach der Diagnose einer Krankheit wählen wir das Medikament, das in tausenden Fällen in der Vergangenheit zur Heilung geführt hat. Wir hoffen also darauf, dass die Zukunft sich so verhalten wird wie die Vergangenheit und folgen einem induktiven Schluss.
Würden wir die Induktion ablehnen, wie Popper es ursprünglich vorhatte, müssten wir viel eher auf ein Medikament vertrauen, das noch nie getestet wurde.
Es gibt also scheinbar einen Unterschied zwischen pragmatischer und rein theoretischer Induktion. Aufgrund dieser Verstrickungen kam der Diskurs in der Wissenschaftstheorie weitgehend zu dem Konsens, dass Popper das Induktionsproblem auch nicht lösen konnte.
Was das nun alles für die Wissenschaft von heute bedeutet
Das Induktionsproblem ist bis heute nicht gelöst, so viel steht fest. Die Konsequenz daraus zu ziehen, dass die Wissenschaft rein logisch betrachtet nichts mit 100%iger Genauigkeit wissen kann, ist theoretisch richtig, aber praktisch nicht hilfreich.
Um die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien besser einordnen zu können, müssen Wissenschaftler eine Reihe sogenannter Judgement-Calls machen.
Das sind die zusätzlichen Annahmen, die wir machen müssen, damit Wissenschaft pragmatisch umsetzbar ist. D.h. Jeder muss für sich definieren, was er oder sie bereit ist anzunehmen, auch wenn es dafür keine formale logische Begründung gibt.
Als Wissenschaftlerin muss man also ein gewisses Risiko eingehen, falsch zu liegen. Wie hoch das Risiko ist, kann man selbst entscheiden.
Lee und Baskerville (2012) definieren 4 solcher Judgement Calls.
Den ersten kennst du schon:
#1 Die Zukunft wird sich so verhalten wie die Vergangenheit.
Das Risiko, was man hier eingeht, ist, dass eine Theorie oder ein Ergebnis nicht mehr stimmt, sobald es auf einen neuen Kontext angewendet wird.
#2 Die Rahmenbedingungen im neuen Kontext sind gleich genug, um die Theorie oder das Ergebnis dort anzuwenden.
Stell dir vor, du hast ein Naturgesetz auf der Erde ermittelt. Wenn du das Naturgesetz anwendest, um ein Phänomen auf dem Mars zu verstehen, musst du davon ausgehen, dass die Rahmenbedingungen dort ähnlich genug wie auf der Erde sind.
Diesen zweiten Judgement Call muss man aber auch im kleineren Rahmen machen. Wenn du die Ergebnisse einer Management Case Study bei Amazon auf dein mittelständisches Unternehmen anwenden möchtest, dann musst du annehmen, dass die Rahmenbedingungen ähnlich genug sind, um dies zu tun.
#3 Die Theorie oder das Naturgesetz deckt alle relevanten Variablen ab.
Wenn du eine Theorie anwenden willst, musst du davon ausgehen, dass sie vollständig ist und nicht irgendeine Variable vergessen hat.
#4 Die Theorie ist wahr
Dieser Judgement Call würde Karl Popper wahrscheinlich nicht so sehr gefallen. Aber um eine Theorie anzuwenden, musst du davon ausgehen das sie stimmt. Auch wenn das nach Popper niemals möglich ist.
Referenzen
Lee, A. S., & Baskerville, R. L. (2003). Generalizing generalizability in information systems research. Information systems research, 14(3), 221-243.
Lee, A. S., & Baskerville, R. L. (2012). Conceptualizing generalizability: New contributions and a reply. MIS quarterly, 749-761.
https://www.philoclopedia.de/was-kann-ich-wissen/erkenntnistheorie/induktionsproblem/
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