Wissenschaftlich Schreiben

Die 13 Säulen des qualitativen Denkens (nach Mayring)

Die 13 Säulen des qualitativen denkens Mayring qualitative Sozialforschung Titel

Auf der Suche nach einem grundlegenden Verständnis über qualitative Sozialforschung führt kein Weg an den 13 Säulen des qualitativen Denkens von Professor Philipp Mayring vorbei.

Damit du die methodologischen Grundsätze qualitativer Forschung in kürzester Zeit verstehen und anwenden kannst, gebe ich dir in diesem Artikel eine detaillierte Übersicht aller 13 Säulen des qualitativen Denkens.

Dazu mische ich einige Zusatzerklärungen und Beispiele aus meinem eigenen Erfahrungsschatz und passender Sekundärliteratur. So sind die 13 Säulen nicht mehr ganz so abstrakt und du kannst dein Grundlagenwissen über qualitative Sozialforschung erhärten.

Die 5 Grundsatzpostulate qualitativer Forschung

Die 13 Säulen, um die es in diesem Artikel gehen soll, sind in der Arbeit von Mayring auf einem Fundament aufgebaut. Wie erstmals in seinem Buch „Qualitative Sozialforschung„* aus dem Jahr 2002 beschrieben, versteht Mayring diese 5 Grundsätze als essentiell für eine qualitative Herangehensweise an wissenschaftliche Arbeiten:

1. Grundsatz: Subjektbezogenheit

Postulat: Die von der Forschungsthematik affektierten Subjekte sind Ausgangspunkt und Ziel aller Untersuchungen.

2. Grundsatz: Deskription

Postulat: Zu Beginn der Analyse muss eine explizite Deskription des Gegenstandsbereiches erfolgen.

3. Grundsatz: Interpretation

Postulat: Der Untersuchungsgegenstand ist immer durch Interpretation zu erschließen.

4. Grundsatz: Alltägliche Umgebung

Postulat: Humanwissenschaftliche Gegenstände müssen in ihrem natürlichen Umfeld untersucht werden.

5. Grundsatz: Verallgemeinerung

Postulat: Die Verallgemeinerung von Ergebnissen muss stets schrittweise begründet werden.


So, das war’s dann für heute – bis zum nächsten Mal!


Nein, ich hoffe du bist noch da – wie du bestimmt gemerkt hast sind diese 5 Grundsätze alles andere als praktikabel. Besonders für Anfänger wie uns sind sie viel zu abstrakt und es ist unklar, wie man von diesen Grundsätzen zur Umsetzung guter, qualitativer Forschung kommt.

Das hat auch der gute Herr Mayring selbst bemerkt. Deshalb hat er die 5 Grundsätze noch weiter verfeinert. Daraus wurden schließlich die 13 Säulen des qualitativen Denkens.

Die 5 Grundsätze dienen also wenn du so willst als Überkategorien für die Säulen.

Die 13 Säulen des qualitativen Denkens

Die ersten 3 Säulen sind dem Grundsatz der Deskription zugeordnet.

#1 Einzelfallbezogenheit

Hierzu erklärt Mayring, dass die Ergebnisse sich von einzelnen Fällen wegbewegen können, sie aber immer wieder zurück auf die Einzelfälle bezogen werden müssen.

Ok, was bedeutet das genau?

Nehmen wir an du führst Interviews in einem Unternehmen. Dann hast du eine Art Fallstudie vorliegen. Die Ergebnisse deiner Interviewanalyse kannst du nun z.B. im Hinblick auf eine bestimmte Theorie diskutieren. Die Theorie ist immer durch eine Verallgemeinerung oder auch Generalisierung entstanden. Hier solltest du laut Mayring also nicht zu weit verallgemeinern, d.h. neue Theorie bilden, denn dein Einzelfall könnte sich in einem bestimmten Kontext bewegen, der keine Verallgemeinerung zulässt.

#2 Offenheit

Eine Änderung im laufenden Forschungsprozess sollte immer möglich sein. Das kann sowohl den theoretischen Rahmen, die Forschungsfragen oder einzelne methodische Schritte betreffen. Qualitative Forschung sollte also laut Mayring immer flexibel, anpassbar und eben offen für Änderungen sein. Auch hier gilt wie immer: Jede Entscheidung musst du gut begründen können – dann ist es auch vollkommen in Ordnung, sie zu treffen.

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#3 Methodenkontrolle

Bei diesem Punkt geht es im Prinzip um die Replizierbarkeit, welche durch die methodische Beschreibung gegeben sein muss. Das bedeutet, dass du dein methodisches Vorgehen möglichst detailliert beschreibst und dich dabei auf einen oder mehrere AutorInnen beziehst, die ein systematisches Vorgehen für das vorschlagen, was du umgesetzt hast. Wie du das im Methodenteil zu Papier bringst, kannst du auch in meinem ausführlichen Tutorial zum Forschungsdesign nachlesen.

Die Säulen 4-6 der 13 Säulen des qualitativen Denkens sind dem Grundsatz der Interpretation zugeordnet.

#4 Vorverständnis

Die Interpretation deiner Ergebnisse auf theoretischer Ebene wird stark davon beeinflußt, welches Verständnis von den einzelnen Bestanteilen der Theorie hast. In der qualitativen Forschung machst du dabei meist gebrauch von Konzepten, oder vereinfacht gesagt, von theoretischen Begriffen. Diese musst du unbedingt eindeutig definieren, damit die Interpretation auf dieses Verständnis zurückzuführen ist. Wie du Begriffe in deinem Literaturteil richtig definierst, kannst du auch in meinem hoffentlich aufschlussreichen Tutorial zum Begriffe definieren nachlesen.

#5 Introspektion

Diese Säule meint die Hinzunahme von subjektiven Daten, die du als Forschende/r beitragen kannst. Das könnten beispielsweise Notizen, Gedanken oder ander Mitschriften sein, die während des Forschungsprozesses oder der Datenerhebung entstanden sind. Für das qualitative Denken ist ein solches Vorgehen völlig bereichernd, jemandem der eher von einem quantitativen Paradigma geprägt ist, würden hier die Haare zu Berge stehen. Ein prominenter Anwendungsfall einer solchen Introspektion sind die sogenannten Memos, die in der Grounded Theory Methodologie verwendet werden. Wichtig ist, dass du solche Daten immer als das kennzeichnest was sie sind. So können sie eine gute Ergänzung zu den empirisch erhobenen Daten sein.

#6 Forscher-Gegenstands-Interaktion

Diese dritte Säule der Interpretation besagt, dass diese immer von der Beziehung bzw. der Kommunikation zwischen dir und den Datensubjekten abhängt. Am einfachsten kannst du dir das am Beispiel qualitativer Interviews deutlich machen. Hier beeinflußt du mit der Art wie du Fragen stellst, welche Fragen das sind und wie du mit der Person am anderen Ende interagierst, welche Ergebnisse du letztendlich vorliegen hast und wie du sie interpretieren kannst.

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Die Säulen 7-9 sind den Grundsätzen Subjektbezogenheit und der Alltäglichen Umgebung zugeordnet.

#7 Ganzheit

Diese Einheit der 13 Säulen des qualitativen Denkens ist etwas schwieriger zu erklären. Vereinfacht gesagt, geht es hier darum, dass du in der Analyse die Gesamtbetrachtung verlassen darfst und eine sogenannte analytische Trennung machst. Das kann zum Beispiel sein, dass du die Aussagen einer Interviewpartnerin nur in ihrer Rolle als Mitarbeiterin eines bestimmten Unternehmens und dem kleinen Bereich des zu untersuchenden Gegenstandes analysierst. Hinterher, also beispielsweise in der Diskussion, solltest du dann aber wieder alles zusammenfügen und im Gesamtkontext betrachten.

#8 Historizität

Hier geht es einfach darum, dass manche Gegenstände oder Phänomene historisch erwachsen sein können. Also sollte diese Vergangenheit bei der Interpretation immer mit berücksichtigt werden.

#9 Problemorientierung

Das vorrangige Ziel des Forschungsprozesses ist es natürlich, Gegenstände und Phänomene besser zu verstehen und Erklärungen zu finden. Doch auch der praktische Mehrwert ist nicht zu verachten. Das ist auch der „letzte Schritt“ der Wissenschaft, der oft vernachlässigt wird. Wie können diese Ergebnisse in der Praxis Anwendung finden und die Welt zu einem besseren Ort machen?

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Die letzten vier der 13 Säulen des qualitativen Denkens sind Teil des Verallgemeinerungsprozesses.

#10 Argumentative Verallgemeinerung

Bei der Diskussion der Ergebnisse muss ersichtlich werden, welche Teilergebnisse in welchem Ausmaß generalisiert werden können. Das „Ausmaß“ können hier Branchen (bei Unternehmen), Zeiten, Personengruppen und andere Einheiten sein. Natürlich muss dies auch wieder fein säuberlich argumentiert werden.

#11 Induktion

Von der Logik her ist es etwas komisch, warum diese die 11. Säule ist. Denn bei der Induktion gehen wir wieder einen Schritt zurück: Die Induktion ist ein wichtiges Verfahren bei der Datenanalyse und typisch für qualitative Forschung. Dabei generierst du systematisch abstrakte Kategorien aus deinen Daten. Mehr dazu erfährst du auch in meinem Ein Tutorial zur induktiven Inhaltsanalyse, die du beispielsweise auf Interviewdaten anwenden kannst.

#12 Regelbegriff

Mit Säule Nummer 12 lässt sich Sozialforschung von den Naturwissenschaften abgrenzen. Letztere können auf Naturgesetze zurückgreifen, doch immer wenn der Mensch involviert ist, entstehen Unregelmäßigkeiten, Widersprüche und subjektive Bewertungen. Um alle unter einen Hut zu bringen, kannst du „Regeln“ aufstellen, wie diese Unterschiede gleichförmig gemacht werden sollen. Auch hier musst du jedoch den Kontext beachten, für den diese Regeln gelten.

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#13 Quantifizierbarkeit

Die letzte Säule schafft den Übergang zur quantitativen Forschung. Die qualitative Forschung sollte es möglich machen, dass sich aus bestimmten Konzepten, Präpositionen oder Kategorien schließlich Konstrukte bilden lassen. Diese können dann wiederum mit quantitativen Methoden getestet und robuste Theorie gebildet werden.


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