Heute geht es um die Gütekriterien qualitativer Forschung.
Du hast bestimmt schon mal von den Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität gehört, oder? Diese sind charakteristisch für quantitative Forschung, aber für qualitative Forschungsmethoden machen diese größtenteils keinen Sinn.
Denke da nur an ein ethnographisches Forschungsvorhaben, bei dem ein Wissenschaftler ins Feld geht und Personen oder andere Forschungssubjekte in ihrer natürlichen Umgebucht beobachtet. Hier kann Objektivität sogar ein großes Hindernis sein und das Gegenteil ist gefragt.
Ist in der qualitativen Forschung also alles erlaubt?
Nicht so schnell.
Auch für qualitative Forschung gibt es eine Reihe an Gütekriterien, die dabei helfen dass dein Forschungsdesign als methodisch sauber und hochwertig erachtet wird.
In diesem Video widmen wir uns also endlich mal wieder dem Schaffen eines gewissen Herrn Mayring, der uns schon sein berühmtes Methodenbuch zur qualitativen Inhaltsanalyse geschenkt hat.
In seiner Einführung in die qualitative Sozialforschung (2016) definiert er 6 Gütekriterien qualitativer Forschung, die wir uns in diesem Video genauer anschauen werden.
Inhaltsverzeichnis
#1 Regelgeleitetheit
Dieses Kriterium bedeutet, dass die qualitative Forschung nach klaren und vorher festgelegten Regeln durchgeführt werden muss. Du musst im Vorfeld alle Analyse-Schritte bestimmen, damit du deine Analyse anhand dieser Schritte systematisch durchführen kannst.
Die Regelgeleitetheit ist wichtig, damit der Forschungsprozess strukturiert und verständlich ist. Dadurch kannst du mögliche Fehler oder subjektive Einflüsse minimieren. Du musst deine Entscheidungen und Vorgehensweisen genau dokumentieren, damit andere Forscher:innen sie nachvollziehen und die Ergebnisse überprüfen können.
Indem du die Regelgeleitetheit einhälst, wird die Möglichkeit erhöht, dass andere ForscherInnen ähnliche Ergebnisse erzielen, wenn sie das gleiche Forschungsdesign und die gleichen Regeln verwenden.
Um diesen Punkt in deiner eigenen qualitativen Arbeit umzusetzen, empfehle ich dir dich an einen Autor oder ein Methodenbuch zu halten und das dort vorgeschlagenen Vorgehen so gut es geht durchzuführen. Im Methodenteil schreibst du also so etwas wie „Die qualitative Inhaltsanalyse wird entsprechend der Empfehlungen von Kuckartz (2015) durchgeführt. Im ersten Schritt…“
Natürlich bedeutet dies nicht, dass du dich hundertprozentig an alle Vorgaben aus einem Methodenbuch halten musst – kleinere Anpassungen sind natürlich möglich. Allerdings wäre die qualitative Forschung ohne Regeln wertlos.
#2 Verfahrensdokumentation
Du kennst es vielleicht schon aus der quantitativen Forschung, dass man standardisierte Tests beim Namen nennt.
In der qualitativen Forschung geht das nicht so wirklich, da das Forschungsvorgehen weniger standardisiert, sondern mehr auf den Forschungsgegenstand zugeschnitten ist.
Das bedeutet, dass du teilweise eigene Methoden speziell für die Untersuchung entwickeln oder Methoden miteinander kombinieren musst.
Um wissenschaftlichen Standards gerecht zu werden, musst du den gesamten Forschungsprozess daher so genau wie möglich dokumentieren.
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Deine Dokumentation sollte das Vorverständnis, die Zusammenstellung der Analysemethoden und die praktische Umsetzung der Datenerhebung und -auswertung umfassen.
Deine Verfahrensdokumentation sollte klar und präzise sein, sodass andere Forscher die Schritte nachvollziehen und die Ergebnisse überprüfen können.
Durch eine sorgfältige Verfahrensdokumentation gewährleistest du Transparenz in der Forschungsarbeit und verbesserst die Nachvollziehbarkeit deiner Ergebnisse.
Um diesen Punkt in deiner eigenen Arbeit umzusetzen, empfehle ich dir dein Forschungsdesign im Methodenkapitel als übersichtliche Abbildung darzustellen. Datensammlung, Analyse-Schritt 1, Analyse-Schritt 2, und so weiter.
So machst du dein Forschungsdesign leicht nachvollziehbar und kannst diesen Punkt schon mal abhaken.
#3 Nähe zum Gegenstand
Grundsätzlich ist es in jeder Art von Forschung wichtig, dass du eine Nähe zum Untersuchungsgegenstand herstellst.
In der qualitativen Forschung erfüllst du diese Anforderung, indem du direkt in die Lebenswelt der untersuchten Personen eintauchst.
Statt die „Forschungssubjekte“ in ein Labor zu bringen, begibst du dich in alltägliche Situationen der Menschen, die du interviewst oder beobachtest.
Zudem ist es wichtig, dass du ein offenes und gleichberechtigtes Verhältnis mit der zu untersuchenden Person aufbaust.
Anders als bei einem Experiment musst du deinem Probanden zum Beispiel genau erklären, worum es in deiner Forschung geht.
Dadurch entsteht ein gemeinsames Interesse zwischen dir als Forscher und der untersuchten Person, was eine enge Verbindung zum Forschungsgegenstand ermöglicht.
Am Ende der Untersuchung ist es wichtig zu prüfen, ob es gelungen ist, die Forschung für die beteiligten Personen verständlich und zugänglich zu gestalten.
In der Praxis sieht das so aus, dass du bei der Kommunikation mit den Leuten dein Forschungsziel erklärst und warum sie für deine Studie wertvolle Einblicke geben können.
Doch auch im Anschluss beziehst du sie mit ein und teilst deine Ergebnisse mit ihnen. So kannst du ein klein wenig zurückgeben.
#4 Kommunikative Validierung
Dass du den Kontakt aufrecht erhältst kannst du auch dafür nutzen, um deine Ergebnisse zu überprüfen. Du besprichst in diesem Fall die Forschungsergebnisse mit deinen Teilnehmern anderen relevanten Personen und holst von ihnen Rückmeldungen ein. Du diskutierst also gemeinsam mit den untersuchten Personen über die Ergebnisse.
Diese Rückmeldungen dienen dazu, deine Forschungsergebnisse und deren Interpretation zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.
Dadurch kannst du mögliche Fehler oder ungenaue Interpretationen erkennen und die Ergebnisse verbessern. Dabei wirst du feststellen, dass viele sagen: „Oh, so habe ich noch nie darüber nachgedacht“. Das ist ein gutes Zeichen.
Während des gesamten Forschungsprozesses solltest du offen für Feedback der Beteiligten sein und ihre Rückmeldungen ernst nehmen, um deine Forschungsergebnisse kontinuierlich zu verbessern.
Die Kommunikative Validierung fördert die Zusammenarbeit und Beteiligung aller Beteiligten und führt zu einer differenzierteren Perspektive auf das Forschungsthema.
#5 Triangulation
Triangulation bedeutet, dass du verschiedene Ansätze für deine Forschungsfrage verwendest und die Ergebnisse vergleichst.
Dadurch kannst du unterschiedliche Datenquellen, Autoren, Meinungen, Theorieansätze oder Methoden nutzen, um mögliche Lösungen zu finden.
Dein Ziel ist nicht die Übereinstimmung der Ergebnisse, sondern du möchtest die Stärken und Schwächen der verschiedenen Perspektiven aufzeigen.
Ein praktisches Beispiel wäre das hinzuziehen einer zweiten Datenquelle. Wenn du also hauptsächlich Interviews führst, könntest du zudem firmeneigene Dokumente sammeln und auswerten. Ich habe ein ganzes Tutorial zum Thema Triangulation produziert, ich habe es dir hier oben rechts eingeblendet.
Du kannst auch qualitative und quantitative Analyseverfahren miteinander verbinden, um ein umfassenderes Bild zu erhalten. Da bist du dann im Bereich der Mixed Methods, wozu du dir auch gerne mein Tutorial anschauen kannst.
#6 Interpretationsabsicherung mit Argumenten
Im Rahmen der qualitativen Forschung bist du als forschendes Subjekt gefragt, bestimmte Sachverhalte zu interpretieren. Es geht nicht darum, ein möglichst statistisch generalisierbares und objektives Ergebnis zu erzielen.
Im Gegensatz zu mathematischen Lösungen die du in quantitativen Studien berichtest, kann man deine Interpretationen nicht direkt auf Richtigkeit überprüfen.
Trotzdem gibt es in der qualitativen Forschung eine Regel: Du darfst Interpretationen nicht einfach behaupten, sondern musst sie immer begründen.
Bei der argumentativen Begründung müssen das Vorverständnis und die jeweilige Interpretation übereinstimmen, damit die Deutung durch theoretische Überlegungen geleitet ist.
Die Interpretation selbst muss schlüssig sein, und du musst mögliche Unstimmigkeiten auf jeden Fall erklären.
Um deine Interpretation zu stützen, kannst du auch alternative Deutungen in Betracht ziehen und überprüfen.
Sogar Widerlegungen oder negative Sichtweisen können dazu beitragen, deine Interpretation zu sichern und zu begründen.
Dadurch unterstützt du die Gültigkeit deiner Ergebnisse.
In der Praxis sieht es so aus, dass du deine Interpretationen, also deine Codes und Kategorien, die du bildest, mit Daten belegst. Da kannst du wirklich gerne mal ein Zitat das aus 8-10 Sätzen besteht und besonders interessant für eine bestimmte Kategorie ist in deinen Text kopieren.
Ich sehe oft bei Studierenden, dass sie Direktzitate aus ihren Daten einfügen, die genau einen Satz lang sind. Das macht es schwierig, den Kontext dieser Aussage zu erfassen. Also nimm ruhig längere Passagen aus deinen Rohdaten in die Ergebnisse mit auf. So ist es einfacher deine Interpretation nachzuvollziehen.
Zusammenfassung
Nicht alle Autoren, die qualitative Forschung beschreiben, haben die gleiche Vorstellung wie Mayring. Doch ich finde, dass seine 6 Gütekriterien einen guten Überblick geben, worauf du bei qualitativen Forschungsvorhaben achten solltest.
Aber vergiss nicht, dein Forschungsprojekt ist einzigartig – passe also Maßstäbe und Vorgehensweisen deinem Forschungsprojekt an und nicht umgekehrt.
Das erfordert flexible Kriterien, die im Verlauf der Arbeit entwickelt werden.
Wenn du bei der Entwicklung deines qualitativen Forschungsdesigns aber die 6 genannten Kriterien ernst nimmst und versuchst möglichst viele davon zu beachten, dann bist du auf einem guten Weg.