Wissenschaftliche Methoden

Axiales Kodieren beim Grounded Theory Ansatz (+ Beispiel)

Axiales Kodieren beim Grounded Theory Ansatz

Du hast dich erfolgreich durch den ersten Schritt der Grounded Theory gearbeitet – das offene Kodieren – und endlich stehen deine ersten Codes fest – aber was nun? Wie bringst du diese Codes in einen sinnvollen Zusammenhang?

Genau dafür gibt es das axiale Kodieren.

In diesem Beitrag erkläre ich dir Schritt für Schritt, wie du die Technik des axialen Kodierens anwendest, deine Ergebnisse systematisch strukturierst und somit den Grundstein für deine eigene kleine Theorie entwickelst.

https://youtu.be/Bx8Ur2Luo4U

#1 Was ist axiales Kodieren?

Axiales Kodieren ist der zweite Schritt im dreistufigen Kodierprozess nach Strauss und Corbin (1998):

  1. Offenes Kodieren (Daten werden in Codes zerlegt und benannt)
  2. Axiales Kodieren (Beziehungen zwischen den Codes werden hergestellt, um Kategorien zu bilden)
  3. Selektives Kodieren (Die Kernkategorie(n) werden herausgearbeitet)

Während das offene Kodieren dazu dient, das Datenmaterial in kleinere thematische Einheiten (= Open Codes) zu zerlegen, geht das axiale Kodieren darüber hinaus. Es hilft dir dabei, herauszufinden, wie diese Codes, die noch nicht sonderlich abstrakt sind, zusammenhängen und wie sie sich gruppieren lassen.

Das bedeutet: In diesem Schritt arbeitest du nicht mehr direkt am Material, sondern mit den Open Codes, die du gebildet hast. Sei dir bewusst, dass andere Grounded Theory Methodenbücher andere Bezeichnungen verwenden oder leicht abgewandelte Kodiertechniken empfehlen. Wenn wir über axiales Kodieren sprechen, dann immer vor dem Hintergrund von Strauss und Corbin’s (1998) Ansatz.

Wie unterscheidet sich axiales Kodieren vom offenen Kodieren

#2 Wie unterscheidet sich axiales Kodieren vom offenen Kodieren?

Ein häufiger Irrtum ist, dass offenes und axiales Kodieren zwei völlig getrennte Prozesse sind. In Wahrheit gehen sie oft ineinander über. Während du beim offenen Kodieren deine ersten Codes bildest und somit das Material zusammenfasst bzw. strukturierst, merkst du vielleicht bereits, dass bestimmte Codes irgendwie zusammengehören.

Das axiale Kodieren hilft dir, diese Beziehungen systematisch zu untersuchen. Hier stellst du gezielt Fragen wie:

  • Welche Open Codes stehen in einer Ursache-Wirkungs-Beziehung?
  • Gibt es Muster oder Regelmäßigkeiten in den Daten?
  • Wie lassen sich die Open Codes gruppieren?

Während das offene Kodieren also eher eine deskriptive Funktion hat und es darum geht, dein Datenmaterial in sinnvolle Einheiten zu zerlegen, hat das axiale Kodieren eine analytische Funktion. Es hilft dir, mithilfe deiner Open Codes auf das nächste Abstraktionslevel zu gelangen.

Beispiel

Stell dir vor, du untersuchst, wie Studierende KI-gestützte Lernprogramme nutzen. Durch das offene Kodieren hast du herausgefunden, dass KI in verschiedenen Kontexten genutzt wird, zum Beispiel für das Zusammenfassen von Texten, zur Erstellung von Karteikarten oder als Unterstützung bei der Prüfungsvorbereitung.

Das hier sind 6 deiner Open Codes:

  • Zusammenfassen von Vorlesungsskripten
  • Erstellung von Karteikarten
  • Audio-Transkription der Vorlesung
  • Live-Quizzes zur Wiederholung des Lernstoffs
  • Semesterziele abwägen
  • Lernplanerstellung

Doch wie genau greifen Studierende auf KI zurück? Gibt es hier vielleicht einen zeitlichen Zusammenhang? An dieser Stelle kommt das axiale Kodieren ins Spiel.

Du könntest dir nun die 6 Open Codes anschauen und sie in sinnvolle Kategorien gruppieren. Zum Beispiel passen „Zusammenfassen von Vorlesungsskripten“ und „Erstellung von Karteikarten“ gut zusammen. Wir könnten für diese Open Codes die Kategorie „Vorbereitung“ bilden.

„Audio-Transkription der Vorlesung“ und „Live-Quizzes zur Wiederholung des Lernstoffs“ könnten wir mit der Kategorie „Aktive Unterstützung“ zusammenfassen.

Und für die verbleibenden beiden Open Codes? Hier könnte so etwas wie „Strategische Planung“ passen.

Wenn du jetzt noch einen Schritt weiterdenkst, in Bezug auf die zeitliche Dimension zum Beispiel, könntest du darauf kommen, dass die Sequenz der Kategorien so ist: Erst kommt die (1) Strategische Planung, dann die (2) Vorbereitung, und dann die (3) aktive Unterstützung.

Das wäre schon mal ein prima Zusammenhang! Aber irgendwie fehlt da noch was… Nutzen Studierende KI gar nicht zur Nachbereitung? Upps, das hast du gar nicht in deinen Interviews gefragt? Mit dieser Erkenntnis kannst du nun neue Daten erheben und genau das herausfinden. Vielleicht ergeben sich dann zusätzliche Open Codes und eine „Nachbereitung“ Kategorie. Vielleicht aber auch nicht… Was ich damit sagen will ist, dass du nach dem axialen Kodieren auch wieder zur Datensammlung oder dem offenen Kodieren zurückkehren kannst. Denn Grounded Theory ist eine iterative und keine lineare Methode!

Wie unterscheidet sich axiales Kodieren vom offenen Kodieren?

#3 Das Kodierparadigma nach Strauss & Corbin (1998)

Strauss und Corbin (1998) sind in ihren Ausführungen sehr konkret. Wenn du dir unsicher bist, wie du das axiale Kodieren angehen sollst, dann kannst du ihr Kodierparadigma nutzen. Dabei geht es darum, verschiedene Aspekte eines Phänomens genauer zu analysieren und systematisch zu strukturieren. Um das Ganze besser zu verstehen, schauen wir es uns direkt an einem Praxisbeispiel an.

Angenommen, du analysierst wie im vorherigen Beispiel Interviews mit Studierenden über ihre Nutzung von KI Tools wie ChatGPT beim Lernen. Nach dem offenen Kodieren hast du mehrere Kategorien gebildet, darunter „Prüfungsvorbereitung“„Skepsis gegenüber KI“ und „Veränderung des Lernverhaltens“.

Nun setzt du diese Kategorien in Beziehung zueinander. Im vorherigen Beispiel haben wir die Dimension Zeit angeschaut. Doch es gibt noch weitere. Du musst nicht ALLES aus dem Kodierparadigma durchanalysieren, sondern nur das, was zu einer Theorie führt, die deine Forschungsfrage adressiert.

Phänomen

Das Phänomen beschreibt das zentrale Thema oder Ereignis, das du untersuchst.
In unserem Beispiel wäre das: „Studierende nutzen KI-gestützte Tools beim Lernen.“

Kausale Bedingungen (Warum passiert es?)

Diese Bedingungen beschreiben, was das Phänomen verursacht oder auslöst.
Hier wäre das beispielsweise: „Studierende haben oft wenig Zeit und suchen deshalb effizientere Lernmethoden, um ihren Lernalltag besser zu organisieren und dem Prüfungsdruck standzuhalten.“

Kontext (Unter welchen Bedingungen tritt das Phänomen auf?)

Kontext beschreibt die spezifischen Umstände oder Bedingungen, in denen das Phänomen stattfindet.
Im konkreten Beispiel könnte das heißen: „In MINT-Fächern, wie Informatik oder Ingenieurwissenschaften, ist die KI-Nutzung verbreiteter und gesellschaftlich akzeptierter als beispielsweise in geisteswissenschaftlichen Studiengängen.“

Intervenierende Bedingungen (Was beeinflusst das Phänomen zusätzlich?)

Das sind Faktoren, die nicht direkt kausal wirken, aber dennoch erheblichen Einfluss darauf haben, ob und wie stark ein Phänomen auftritt.
Konkret könnte das sein: „Institutionelle Richtlinien der Universität, wie offizielle Verbote oder Empfehlungen zur KI-Nutzung, das vorhandene Vorwissen über KI oder die generelle technische Affinität der Studierenden.“

Handlungsstrategien (Wie reagieren Menschen darauf?)

Hier betrachtest du, wie Personen auf das Phänomen reagieren und welche Strategien sie entwickeln. Bezogen auf unser Beispiel bedeutet das konkret:
„Einige Studierende nutzen KI-Tools intensiv und regelmäßig, andere nutzen sie sehr gezielt oder kritisch reflektiert, während wieder andere sie komplett vermeiden.“

Konsequenzen (Welche Auswirkungen ergeben sich?)

Konsequenzen beschreiben die Ergebnisse oder Folgen der angewandten Handlungsstrategien.
In unserem Fall wären das etwa: „Studierende verändern ihr Lernverhalten. Einerseits kann das zu Zeitersparnis und besserer Prüfungsvorbereitung führen, andererseits aber auch dazu, dass das Lernen oberflächlicher wird oder eine Abhängigkeit von KI-Tools entsteht.“

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#4 Herausforderungen beim axialen Kodieren

Obwohl das axiale Kodieren eine mächtige Technik ist, um Theorien zu bilden, kann es auch einige Herausforderungen mit sich bringen.

Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Bedingungen ist nicht immer einfach. Manche Faktoren können sowohl als kausale als auch als intervenierende Bedingungen interpretiert werden. Hier hilft es, immer wieder in die Daten zurückzugehen und sich zu fragen: Warum passiert etwas und was beeinflusst es? Außerdem musst du dich immer wieder fragen: Was soll meine Theorie überhaupt beschreiben? Wenn du eine Prozess-Theorie anstrebst, dann sind kausale Bedingungen nicht so wichtig, sondern eher Mechanismen und der zeitliche Verlauf.

Forschende neigen dazu, vorschnelle Schlussfolgerungen zu ziehen. Gerade wenn man bereits ein bestimmtes Muster in den Daten erkannt hat, besteht die Gefahr, dass man nur noch nach Bestätigungen für dieses Muster sucht. Hier kann es helfen, sich regelmäßig selbst herauszufordern: Gibt es noch alternative Erklärungen? Am besten ist es dann, sich der Technik des theoretischen Samplings zu bedienen und neue Daten zu sammeln, die deine Zweifel oder die Lücken in der Theorie, wie sie zum jetzigen Zeitpunkt aussieht, addressieren.

Das Kodierparadigma sollte flexibel angewendet werden. Nicht jede Studie passt exakt in das vorgegebene Raster. Manche Teile davon können für dich irrelevant sein, andere wiederum umso wichtiger. Das kannst du dir nur selbst beantworten, in dem du dein Forschungsziel klar vor Augen hast.

Axiales Kodieren beim Grounded Theory Ansatz

#5 Axiales Kodieren als Grundlage der Theorieentwicklung

Ein entscheidender Punkt beim axialen Kodieren ist, dass es nicht nur dabei hilft, Daten zu strukturieren – sondern dass es den Weg zur Theorieentwicklung ebnet.

Während du durch das axiale Kodieren immer mehr Zusammenhänge erkennst, bildet sich oft eine zentrale Kategorie heraus. Manchmal sind es auch zwei oder drei. Diese Kategorie(n) steht im Mittelpunkt des selektiven Kodierens, dem dritten Schritt des Grounded Theory Ansatzes. Hier gehst du dann noch einen Abstraktionsgrad höher.

Wenn du beispielsweise erkennst, dass der wichtigste Einflussfaktor bei der KI-Nutzung nicht der Zeitmangel, sondern das Vertrauen in die Technologie ist, könnte sich eine Theorie über „Technologieakzeptanz im universitären Lernen“ entwickeln. Wenn du dich dafür entscheidest, könnte es sein, dass deine Codes und Kategorien zum Thema Zeitmangel in der Schublade verschwinden, weil sie für die Kernkategorie, die du beim selektiven Kodieren festlegst, keine Rolle spielen.

Behalte immer im Auge, dass Grounded Theory iterativ ist. Du wirst vermutlich mehrmals zwischen offenem und axialem Kodieren hin- und herwechseln, bevor du ein endgültiges theoretisches Modell entwickelst.

Fazit

Axiales Kodieren ist ein zentraler Bestandteil der Grounded Theory und hilft dir, die Beziehungen zwischen deinen Kategorien zu verstehen. Durch das strukturierte Arbeiten mit dem Kodierparadigma von Strauss und Corbin (1998) kannst du Muster und Zusammenhänge in deinen Daten erkennen und deine Analyse auf eine fundierte theoretische Basis stellen.

Wenn du diesen Schritt gemeistert hast, kannst du dich dem selektiven Kodieren widmen – dem letzten Schritt, in dem du die Kernkategorie bestimmst und deine Theorie weiter ausarbeitest.

Hast du Fragen oder brauchst Unterstützung beim Kodieren? Schreib es in die Kommentare!

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