Wissenschaftlich Schreiben

Forschungsfrage finden durch Problematisierung (Alvesson & Sandberg, 2011)

Forschungslücke finden durch Problematisierung

Du sitzt an deiner wissenschaftlichen Arbeit, hast ein Thema – und sogar schon eine Forschungsfrage im Kopf. Sie klingt okay, macht irgendwie Sinn… könnte aber genauso gut aus einem veralteten ChatGPT Modell stammen und hat wenig mit der Problematisierung einer Forschungslücke zutun?

Kein Wunder, dass du dich fragst: Wie soll das eigentlich eine richtig gute Note werden?

In diesem Beitrag geht’s darum, wie du mit der Technik der Problematisierung eine Forschungslücke entwickelst, die nicht nur existent, sondern auch wichtig ist.

1. Warum viele Forschungsfragen zwar in Ordnung, aber langweilig sind

Du denkst, eine gute Forschungsfrage entsteht, indem man einfach eine Lücke in der Literatur findet?

Dann bist du nicht allein. Fast alle Studierenden – und ehrlich gesagt auch viele erfahrene Forschende argumentieren auf Basis des sogenannten Gap-Spottings. Man liest sich ein, schaut, was noch nicht untersucht wurde, und formuliert daraus die Forschungsfrage. Das klingt logisch, sicher und vor allem machbar.

Aber genau hier liegt das Problem. Denn diese Art, eine Forschungsfrage zu entwickeln, führt oft zu Arbeiten, die zwar solide, aber… nun ja, wenig spannend sind. Sie ergänzen Bestehendes, hinterfragen aber nichts. Und nur weil etwas noch nicht erforscht wurde, heißt das nicht, dass wir es tun sollten.

Denn nach dieser Logik könnten wir auch behaupten, es gäbe fehlende empirische Forschung zur optimalen Umarmungsdauer bei Begrüßungen zwischen akademischen Kollegen unterschiedlicher Fachrichtungen.

Ist definitiv eine Forschungslücke! Füllen sollten wir sie dennoch nicht.

Das sage nicht nur ich, sondern auch zwei sehr bekannte Wissenschaftler: Jörgen Sandberg und Mats Alvesson. In ihrem vielzitierten Paper aus dem Jahr 2011 stellen sie eine simple, aber ziemlich radikale Frage: „Warum stellen wir in der Wissenschaft so selten unsere eigenen Denkweisen infrage?

Problematisierung

2. Gap-Spotting: Der Standardweg

Was die beiden kritisieren, ist das sogenannte Gap-Spotting – also das gezielte Suchen nach einer Forschungslücke. Das klingt erstmal völlig vernünftig: Man schaut, was in der Literatur noch fehlt, und setzt genau da an. Zum Beispiel, weil es widersprüchliche Ergebnisse gibt, ein Thema noch nicht betrachtet wurde, oder eine Theorie noch nicht in einem neuen Kontext angewendet wurde.

Sandberg & Alvesson (2011) unterscheiden hier drei Formen:

  • Confusion spotting – wenn sich Studien widersprechen
  • Neglect spotting – wenn ein Thema übersehen wurde
  • Application spotting – wenn bekannte Konzepte in neuen Kontexten fehlen

Alle 3 Formen sind weit verbreitet – weil es einfach ist, leicht zu argumentieren und sich gut in Abschlussarbeiten oder Publikationen verkaufen lässt.

Aber: Gap-Spotting führt oft nur dazu, dass du Bestehendes ergänzt – nicht hinterfragst. Es bringt kaum neue Denkweisen hervor, sondern bleibt in vertrauten Mustern.

3. Was ist Problematisierung?

Und genau hier kommt die Problematisierung ins Spiel.

Statt zu fragen: „Was wurde noch nicht untersucht?“, stellt Problematisierung die Frage:
„Welche Annahmen liegen der bisherigen Forschung zugrunde – und sind diese überhaupt haltbar?“

Es geht darum, Dinge anders zu denken als bisher. Dabei lehnst du dich nicht nur an bestehende Kritik an, sondern entwickelst deine eigene. Du schaust auf die blinden Flecken, auf das, was als selbstverständlich gilt – und sagst: „Moment mal…“

Problematisierung ist also keine destruktive Kritik, sondern ein kreativer Denkprozess. Es geht nicht darum, eine Theorie niederzumachen – sondern sie weiterzudenken, indem du sie herausforderst.

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4. Problematisierung am Beispiel

Nehmen wir ein Beispiel, das viele betrifft: digitale Ablenkung im Studium.

Ein typischer Gap-Spotting-Zugang wäre: „Wie beeinflussen Online-Streaming Dienste die Konzentration von Studierenden in Online-Vorlesungen?“ Die Lücke ist klar: Es gibt Studien dazu, wie Social Media die Konzentration beeinflusst, aber weniger zu Netflix. Wäre also recht einfach: Lücke gefunden, Forschungsfrage formuliert, alles in Ordnung.

Aber: Was genau lernen wir daraus? Dass Netflix beim Lernen stört? Ist das wirklich überraschend?

Jetzt schauen wir uns an, wie du dasselbe Thema problematisieren könntest.

Dazu stellst du dir die Frage: Welche Annahmen werden in der Forschung zu digitaler Ablenkung stillschweigend übernommen?

Und da findest du plötzlich eine ganze Menge: Zum Beispiel die Annahme, dass Aufmerksamkeit immer gut und Ablenkung immer schlecht ist. Oder, dass Studierende wie Maschinen funktionieren sollten – am besten fokussiert, effizient, durchgetaktet. Dass Lernen nur dann gut ist, wenn es ohne Unterbrechung stattfindet. Und dass Technologie dabei fast immer als Störfaktor gilt.

Und genau das ist der Moment, in dem Problematisierung ansetzt. Du könntest fragen:

Wie wird digitale Ablenkung bei Studierenden in der wissenschaftlichen Literatur dargestellt – und welche gesellschaftlichen Vorstellungen von Disziplin und Produktivität spiegeln sich in dieser Darstellung wider?

Oder du wendest dich der Praxis zu und fragst: „Wie erleben Studierende selbst digitale Ablenkung – und inwiefern unterscheiden sich ihre Perspektiven vom wissenschaftlichen Diskurs?“

Und plötzlich geht es nicht mehr nur um Netflix – sondern um Macht, Normen und die Frage, was eigentlich als „gutes Lernen“ gilt.

Du siehst: Hier wird nicht einfach ein neues Setting getestet, sondern das Konzept selbst wird auf seine ideologischen Grundlagen hin hinterfragt.

Problematisieren

5. Warum Problematisierung selten ist – und gerade deshalb wichtig

Auch wenn Problematisierung enormes Potenzial hat, wird sie in der Forschung vergleichsweise selten genutzt. Und das liegt nicht an mangelnder Kreativität, sondern an den Strukturen des akademischen Systems.

Denn: Viele Prüfende, Reviewer und Journals bevorzugen das, was sich klar einordnen lässt. Sie wollen saubere Hypothesen, saubere Methoden und saubere Ergebnisse. Etwas, das sich gut in bestehende Theorien einfügt – nicht etwas, das diese Theorien zum Wackeln bringt.

Problematisierung dagegen ist unbequem. Wenn du eine Forschungsfrage entwickelst, die grundlegende Annahmen infrage stellt, dann bewegst du dich automatisch außerhalb der gewohnten Bahnen. Du hinterfragst nicht nur eine Theorie – sondern auch die Denkweise, auf der ein ganzes Forschungsfeld basiert. Und damit auch die Denkmuster von Betreuenden, Gutachtern und Reviewern.

Aber genau darin liegt die Stärke der Problematisierung: Sie macht nicht einfach das Bekannte etwas vollständiger – sondern öffnet neue Denkräume. Sie deckt Selbstverständlichkeiten auf, stellt Normen infrage und schafft echten Erkenntnisgewinn.

Alvesson und Sandberg (2011) bringen es auf den Punkt: „Die interessantesten Theorien entstehen nicht durch das Ergänzen von Forschungslücken, sondern durch das Infragestellen dessen, was wir für selbstverständlich halten.“

Und genau deshalb brauchen wir mehr davon – gerade von jungen Forschenden wie dir.
Nicht, weil es der einfachste Weg ist. Aber weil es zeigt, dass du kritisch denkst, theoretisch arbeiten kannst – und den Mut hast, neue Wege zu gehen.

Und ja – das ist nicht immer das, was Betreuer erwarten. Aber wenn du es gut durchdenkst, klar begründest und sauber umsetzt, zeigst du, dass du wissenschaftlich arbeiten kannst – über das Erwartbare hinaus.
Und genau das kann den Unterschied machen – bei der Note. Und sehr wahrscheinlich bringst du damit sogar deinen Betreuer zum Staunen.

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